Germanistisches Seminar II | Philosophische Fakultät | Frauen-Kultur-Archiv


"Die Frau. Ihre Aufgabe nach Natur und Gnade"

(In: Edith Stein: Werke, Bd. V)

"Nur wem hitzige Kampfesleidenschaft die Augen geblendet hat, der kann die handgreifliche Tatsache leugnen, daß Leib und Seele der Frau zu besonderem Zweck gebildet sind. Und das klare und unumstößliche Wort der Schrift spricht aus, was von Anbeginn der Welt die tägliche Erfahrung lehrt: zur Gefährtin des Mannes und zur Menschenmutter ist die Frau bestimmt. Dazu ist ihr Leib ausgerüstet, dem entspricht aber auch ihre seelische Eigenart. (...) Die Einstellung der Frau geht auf das Lebendig-Persönliche und geht auf das Ganze. Hegen, hüten und bewahren, nähren und im Wachstum fördern: das ist ihr natürliches, echt mütterliches Verlangen. Das Tote, die Sache interessiert sie in erster Linie, soweit es dem Lebendig-Persönlichen dient; nicht so sehr um seiner selbst willen. Damit hängt das andere zusammen: Abstraktion in jedem Sinn liegt ihr von Natur aus fern." (S.3)

"Das Bild der Gottesmutter zeigt uns die seelische Grundhaltung, die dem natürlichen Beruf der Frau entspricht: dem Mann gegenüber Gehorsam, Vertrauen und Teilnahme an seinem Leben, die seine sachlichen Aufgaben und seine Persönlichkeitsentfaltung fördert; dem Kind gegenüber treue Hut, Pflege und Ausbildung seiner gottgegebenen Anlagen; beiden gegenüber selbstlose Hingabe und stilles Zurücktreten, wo man ihrer nicht bedarf; alles begründet in der Auffassung von Ehe und Mutterschaft als Beruf, der von Gott kommt und um Gottes willen und unter göttlicher Leitung auszuüben ist." (S.6)

"Gibt es andere Frauenberufe als den natürlichen? Daß Frauen imstande sind, andere Berufe als den der Gattin und Mutter auszuüben, das hat wohl auch nur unsachliche Verblendung bestreiten können. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte und im Grunde doch die Erfahrung aller Zeiten hat es bewiesen. Man darf wohl sagen: Im Notfall kann jede normale und gesunde Frau einen Beruf ausüben. Und: Es gibt keinen Beruf, der nicht von einer Frau augeübt werden könnte." (S.7)

"Jede Frau ein Ebenbild der Gottesmutter, jede eine sponsa Christi, jede ein Apostel des göttlichen Herzens; dann würde jede ihren weiblichen Beruf erfüllen, gleichgültig, in welchen Verhältnissen sie lebte und welche Tätigkeit ihr Leben äußerlich ausfüllte." (S.12)

"Wenn man aber von der Lage der Frau spricht, meint man jedenfalls nicht die Spezies selbst, sondern alles das, was unter die allgemeine Spezies fällt, und das ist eine so große Mannigfaltigkeit von Typen und Individuen, daß von einer ihnen allen gemeinsamen Lage schwerlich gesprochen werden kann. Die Lage ist eine jeweils verschiedene nach Generation, Stand, Weltanschauung (wenn wir von der unübersehbaren Mannigfaltigkeit der individuellen Charaktere absehen wollen), und diese Unterschiede dürfen bei der Behandlung des Themas nicht übergangen werden." (S. 93f.)

"Die Mädchen, die heute ihr Abitur machen und zur Universität gehen, wissen meist gar nichts mehr davon, wieviel Versammlungen, Denkschriften, Petitionen an Reichstag und Staatsregierungen nötig waren, bis sich 1901 endlich die deutschen Universitäten den Frauen öffneten. Für die Frauen, die heute etwa zwischen 40 und 60 stehen (erst recht für die älteren, soweit sie berufstätig sind), ist ihr Beruf meist etwas, was sie sich - in der Familie und im öffentlichen Leben - erkämpft haben. Mögen sie darin ihre Befriedigung gefunden haben oder mag er manches in ihnen unausgefüllt gelassen haben, auf alle Fälle sind sie innerlich mit ihm verwachsen." (S.97f.)

"Wir müssen uns nur klar sein, daß wir in den Anfängen einer großen Kulturumwälzung stehen, daß wir die Kinderkrankheiten durchmachen und daß noch wesentliche grundlegende Arbeit zu leisten ist: daß wir tatsächlich auf die Natur des Mannes und der Frau zurückgehen müssen, um die ihrer Eigenart entsprechende Berufsbildung und Berufsformung und -verteilung anzubahnen und so allmählich zur naturgemäßen Eingliederung der Geschlechter in das soziale Ganze zu gelangen. Damit sind wir bei dem Problem der Mädchenerziehung angelangt, das man wohl als das grundlegende überhaupt bezeichnen kann: der Frage nach der wesenhaften Eigenart der Frau." (S.98f.)

"Während die radikalen Frauenrechtlerinnen dies [allgemeine Frauenbildung] mit Berufung auf die Gleichheit der Natur und des Rechts forderten, war es die leitende Idee in Helene Langes Leben, daß es gerade um der Ungleichheit der Geschlechter willen angestrebt werden müsse: daß die frei entfaltete und recht gebildete weibliche Natur fähig sei zu eigener Kulturleistung, zu einer Leistung, nach der unsere Zeit verlangt, weil sie geeignet ist, die offen zutage liegenden Schäden der männlichen abendländischen Kultur auszugleichen: zu echter Menschenbildung und helfender Liebestätigkeit." (S.113f.)


Zurück zur Edith-Stein-Startseite

 

 

 

 

 

Germanistisches Seminar II | Philosophische Fakultät | Frauen-Kultur-Archiv

last update: 22.08.2023