Leonore Niessen-Deiters
1879-1939

Rezensionen zu "Mitmenschen", Stuttgart, Berlin 19081

Mitmenschen. Von Leonore Niessen-Deiters. Mit Buchschmuck von Hans Deiters in Düsseldorf. J. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart.

Wie im "Leute mit und ohne Frack" deutet auch der Titel von Leonore Niessen-Deiters jetzt erschienenem Novellen- und Skizzenbande "Mitmenschen" auf ein Element der Gesellschaftssatire. Und hier wie dort deutet er ferner an, daß die Schärfe des Spottes von liebevollem Verstehen des Mitmenschen gemildert ist. Die herzliche Beziehung der Dichterin zu ihren Gegenständen, die deutlich genug auch aus der knappsten Linienführung, der schärfsten Pointierung spricht, stellt Leonore Niessen-Deiters in die Reihe der wahren Humoristen. Freilich ist ihre besondere Note die knappe Artistik, wie in der Skizze "Die Welt von der anderen Seite". Besonders liebevoll und auch detaillierter ausgemalt sind ihre Frauengestalten, von der gutmütigen, unglaublich gutmütigen "Mutter Schanettchen, die Konsequente" - den Lesern der Neuen Hamburger Zeitung aus dem Feuilleton bekannt - bis zu den schrulligen alten Schachteln, den Piepjunges, die sich 13 Jahre mit ihrem Pflegesohn quälen, bis er auf die Universität zieht, ihr jungfräuliches Heim von seiner männlichen Gegenwart erlösend, um den Entsetzten nach kurzer Zeit - einen neuen Pflegesohn ins Nest zu legen. Wie die Piepjunges dies schreckliche Begebnis auf die von ihnen verabsäumte "Aufklärung" des jungen Mannes schieben, ist mit köstlichstem Humor geschildert. Mit derselben Beherrschung der Form, die in Kunstdingen den Ausschlag gibt, schlägt Leonore Niessen-Deiters auch tragische Akzente an: "Giovanna Testa", "Eine glänzende Partie". Den Schattenrissen vergleichbar, mit denen der Bruder der Verfasserin, der Düsseldorfer Maler Hans Deiters, auch dieses Buch wieder geschmückt und besonders wertvoll gemacht hat, ihnen vergleichbar an anmutig beweglicher, subtil hingehauchter Wirkung ist "Eine Begegnung" im Walde zwischen einem eben entsprungenen Zuchthäusler und einer jungen Spaziergängerin. Der hohe künstlerische Wert des Buches, die warmen Herzenstöne, das aus dem wohlvertrauten täglichen Leben gewählte Stoffgebiet machen es zu einem Volks- und Familienbuche in des Wortes edelstem Sinne. Möge uns die Dichterin deren noch viele schenken.

Hamburg. Oswald Pander, 5.12.1908. Neue Hamburger Zeitung

Mitmenschen. Von Leonore Niessen Deiters. Mit Buchschmuck von Hans Deiters in Düsseldorf. Stuttgart, J. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger.

Bereits die früheren Novellen der Verfasserin, die "Leute mit und ohne Frack", zeichneten sich durch große Natürlichkeit aus, durch frische Beobachtung, durch herzliche Teilnahme an den tragischen Konflikten des Lebens und durch wirklichen Humor, in dem auch das heimatliche Erbe der Rheinländerin nicht zu verkennen war. Alle diese Vorzüge finden sich in dem neuen Bande wieder. Da ist die "Geschichte von drei Seiten", die eines deutschen Malers Erlebnisse in Sestria mehrfach variiert, je nach den Menschen, die darüber urteilen, und die stets wieder anders sie erzählen. Die unglückliche Liebe eines verlorenen Mädchens wird mit seinem Verstehen gestreift. In "Giovanna Testa" erhebt sich dieses Gefühl bis zu packender Dramatik. Auch die "Begegnung", ein Momentbild aus der gestörten Empfindungswelt eines Verbrechers, die "Glänzende Partie", eine unerbittliche Satire auf die Geldheirat, die "Welt von der anderen Seite", eine Abrechnung mit der Scheinmoral, und "Tant' Jully", die Geschichte vom Sterben einer vernachlässigten alten Jungfer - die alle zeigen, daß die Autorin die stärksten Stoffe zu bewältigen imstande ist. Fröhlichen Genrehumor hingegen und Liebe zum Kleinen offenbaren die Familienstudien von "Mutter Schanettchen", der Konsequenten, vom listigen Geizhals "Onkel Theodor", von "Piepjunges Pflegesohn" und seinen schamhaften Ziehmüttern, "Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser" ist die drolligste Persiflage des Flottenpatriotismus der Landratten, die nie ein Schiff betreten haben,. Die "Närrischen Hühner" erzählen Seltsamkeiten unseres Hausgeflügels und meinen die Menschen. Als Ganzes ist das Buch von neuem das Zeichen eines starken Talents, das niemals in einer Manier stehen bleiben wird, und von dem noch viel zu erwarten ist. Ein besonderer Reiz sind die sauberen Silhouetten, die der Gatte der Künstlerin jeglicher Skizze als Illustration mitgegeben hat.

27.12.1908. Bohemia, Prag

Im J. G. Cottaschen Verlage ist ein neues Buch von Leonore Niessen-Deiters, betiltet [betitelt] "Mitmenschen" erschienen. Die Verfasserin ist bekanntlich eine geborene Düsseldorferin, und das vorstehend bezeichnete Buch nicht ihre Erstlingsgabe. Die "Leute mit und ohne Frack" aus derselben Feder haben bei ihrem Erscheinen im vorigen Jahre bereits eine überaus günstige Aufnahme bei Publikum und Presse gefunden. Sie werden an Feinsinnigkeit und Anmut, in Scherz und Ernst noch übertroffen durch die vorliegenden Darbietungen, die geeignet sind, den Ruf der Verfasserin als einer der geistreichsten und graziösesten Schriftstellerinnen unserer neueren Literatur zu befestigen. Zwölf prächtige Silhouetten von Hans Deiters, dem Bruder der Dichterin, dienen auch diesem Bande wieder zum besonderen Schmucke und erhöhen den Reiz der originellen Geschichten. Das ist viel gesagt, aber die Steigerung in dem neuen Werke "Mitmenschen" ist wirklich unverkennbar z.B. in der Form, die in einzelnen Geschichten geradezu faszinierend wirkt. Es ist dadurch eine Knappheit der Schilderung erreicht, die auch keinen Augenblick der Unaufmerksamkeit beim Leser möglich macht. Wo findet man andererseits einen solchen intimen ursprünglichen Reiz der Naturschilderung, wie in der kleinen Skizze "Eine Begegnung", eine so feine Charakterisierung der Persönlichkeiten wie in der "Mutter Schanettchen". Aber die packende Charakteristik wetteifert mit der warmherzigen tiefen Empfindung für das Menschenschicksal, wie sie in "Giovanna Testa" und "Eine glänzende Partie" zutage tritt. Die einfache und so tief ergreifende Geschichte von "Tant' Jully" ist dabei sehr beherzigenswert für die Mitmenschen. Die humoristischen Erzählungen sind in ihrer Art wirklich Kabinettstücke, wie seinerzeit schon in der Presse die "Leute mit und ohne Frack" bezeichnet wurden. Was den Buchschmuck von Hans Deiters angeht, so verblüfft von seiner hohen künstlerischen Qualität abgesehen, die Unmittelbarkeit des geistigen Zusammenhanges mit dieser pikanten bildnerischen Darstellungen mit dem dichterischen Gedanken der Autorin, Diese Silhouetten sind von einem feinen Sarkasmus beseelt.

November 1908 (die Tagesangabe fehlt). General-Anzeiger, Düsseldorf

Ernst und ein feiner besinnlicher Humor mischen sich auch in dem Geschichtenband "Mitmenschen" von Leonore Niessen-Deiters (mit köstlichem Silhouetten-Buchschmuck von Hans Deiters, erschienen bei J.G. Cotta Nchf., Stuttgart und Berlin. 1908. Geh. 3 M.). Die Verfasserin ist einer scharfe Beobachterin des Lebens, eine seelenkundige Betrachterin besonders der sonderlichen und kuriosen Käuze, die in dieser Welt herumlaufen und die sie besonders ins Herz geschlossen hat. Zugleich verfügt sie über einen feinen Spott, eine liebenswürdig-überlegenen Ironie, die all ihre abgerundeten und sicher pointierten Schilderungen menschlicher Eigenschaften und gesellschaftlicher Zustände unendlich reizvoll und anziehend machen. Prächtig weiß sie die bösartige Klatsch- und Verleumdungssucht ihrer geschätzten Mitmenschen etwa in der "Geschichte von drei Seiten" zu verspotten; sie zeichnet in "Mutter Schanettchen, der Konsequenten" das schalkhaft lebendige Charakterbild einer unverbesserlich gutmütigen Frau, deren Verstand einen ständigen Kampf mit ihrem Herzen führt und ständig darin unterliegt; sie läßt einen grimmeren Humor spielen, wenn sie in "Onkel Theodor" die Erbschaftsberechnungen einer Familie an der unverwüstlichen Lebenskraft eines verkommenen alten Junggesellen zu schanden werden läßt, dem das grausame Geschick es vergönnt, alle seine Erbe zu überdauern. Auch tragische Töne stehen ihr zu Gebot, wie die Liebesnovelle "Giovanna Testa" und die "Glänzende Partie", eine scharfe Kritik der üblichen Berechnungs- und Geldheiraten, zeigen, aber diese Arbeiten haben doch nicht die selbständige und eigenartige Haltung, wie die übrigen, in denen Humor und Ironie in allen Spielarten vom Uebermut bis zum Lächeln unter Tränen triumphieren. Da eignen Frau Nießen-Deiters Frische und eine aus Lebenskenntnis erquellende Liebenswürdigkeit des Verstehend, Originalität der Einfälle und Knappheit der Ausdrucksmittel. Und selbst, wo sie ein so altes Thema aufgreift, wie die Verspottung gesellschaftlicher Torheiten in der Schlußgeschichte "Närrische Hühner" (die unsern Lesern übrigens aus der Sonntagsbeilage bekannt ist), weiß sie ein neue, apart eund amüsante Seite aufzudecken.

19. 2. 1909. Allgemeine Zeitung, Königsberg

Niessen-Deiters, Leonore, Mitmenschen. $2.50. Mit ihrem im vorigen Jahre erschienenen Erstlingswerk "Leute mit und ohne Frack" hat sich die junge Verfasserin sofort die Gunst der Leserwelt erobert, Auch die in ihrem neuen Buche "Mitmenschen" vereinigten elf Geschichten sind wieder Kabinettstücke eigenartig reizvoller Erzählungskunst, voll jenes warmen Humors, der unter Tränen lächelt, und der sich zuweilen zu feiner Ironie zuspitzt. Das Talent der Verfasserin für kurze, scharf pointierte Schilderungen gesellschaftlicher und allgemein menschlicher Zustände offenbart sich in diesem neuen Buche wieder in glänzender Weise. Der Buchschmuck nach mit der Schere geschnittenen Originalsilhouetten von Hans Dieters ist eine reizvolle Zugabe.

27. 3. 1909. Deutsche Zeitung, Mexiko

Rezensionen zu „Im Liebesfalle“, Stuttgart, Berlin 1910

Im Liebesfalle von Leonore Niessen-Deiters.

Mit ihrem Drillingswerk bietet uns die Verfasserin eine Fortsetzung fein pointierter Schöpfungen aus dem Innenleben, die wir schon in ihren beiden Vorläufern zu schätzen gewußt haben. Wie es schon gewohnheitsmäßig geworden, fehlen die künstlerisch hervorragenden Silhouetten des Bruders der Schriftstellerin auch in diesem Werke nicht und bieten uns eine edel einzuschätzende Belebung der beschriebenen Seelenakte. Unter den sechs Titeln der Schilderungen bieten vier einen tiefgehenden Einblick in das Denken und Fühlen des bäuerlichen Milieus und führen uns, das Erotische fein verhüllend, an von der großen Menge als „unsittlich“ gekennzeichneten Lebensfragen des Naturmenschen vorbei, uns zugleich die eifrige Hingabe der Verfasserin für das Studium dieser Klassen vor Augen führend. Eine Kleinmalerei, die kaum durch Zolasche Werke übertroffen werden konnte, bietet sich uns in reichstem Maße dar und verleiht den an und für sich kurzen Fabeln der einzelnen Abrisse ein volle Aufmerksamkeit der Leser weckendes Interesse. In der „Stina Rapps“ finden wir einen leichten Ueberschuß von Gedankenmalerei, die in den übrigen kurz gefaßten Schilderungen nicht zu so krasser Geltung kommt, als hier; doch löst der tragische Schluß dieses Dramas eine nervenspannende Empfindung des Lesers gleichzeitig derart aus, daß die vorhergegangenen Längen verblassen. Die „Heim“ betitelte Schilderung spielt in die Wohltätigkeitsmanie der höheren Gesellschaftssphäre hinüber und gibt uns Bekanntes in neuer Form zu belächeln. „Ein Brief“ ist unseres Erachtens ein Seelenakkord, der vielfach im Herzen so manchen Lesers und so mancher Leserin nachhallen dürfte und gerade seiner Kürze wegen am nachhaltigsten Wirkung ausübt. Wir wollen nochmals zum Schluß des wirklich hervorragenden Buchschmuckes von Hans Deiters, Düsseldorf, Erwähnung tun, dessen Begleitung zum Erwerber dieses Buches ein Schatz an und für sich bedeutet, und dasselbe zur Zierde eines jeden Weihnachtstisches dienen dürfte.

5.11.1910. Lübeckische Anzeigen

Im Liebesfalle. Von Leonore Niessen-Deiters. Mit Buchschmuck von Hans Deiters, Düsseldorf. Stuttgart und Berlin 1911. J. G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger. 253 S. Preis geh. 3 Mk.

Die jugendliche Frau Leonore Niessen-Deiters hat sich durch ihre „Leute mit und ohne Frack“ schnell einen größeren Leserkreis geschaffen, den ihr neues Novellen- und Skizzenbuch „Im Liebesfalle“ noch erweitern wird. Wie schon der Titel andeutet, gibt die Liebe, illegitime und standesamtlich sanktionierte, allen diesen Geschichten die besondere, aber trotz einer gelegentlich prüderielosen Realistik niemals frivole Signatur. Auch in ihnen treibt, ohne daß sie Humoresken im eigentlichen Sinne wären, der Humor sein heiteres Spiel, freilich auch wohl, um erschütternder Tragik das Feld zu räumen. So in der umfangreichsten und wertvollsten Erzählung von „Stina Rapp“, dem starken und lebensmutigen Weibe, das der Gram um den versagten Kindersegen zur Mörderin macht. Die Psychologie Leonore Niessen-Deiters ist hier von einer beträchtlich über das Durchschnittmäßige hinausragenden Gestaltungskraft. Für die graziöse Feinheit ihrer Seelenmalerei ist auch die kurze Skizze „Ein Brief“ ein vollgültiger Beleg. Als köstliche Zugabe sind die reizvoll bewegten und anmutig schalkhaften Silhouetten sauberster Ausführung nach den von dem Bruder der Verfasserin mit der Schere geschnittenen Originalen zu rühmen.

24.6.1911. Schlesische Zeitung

Im Liebesfalle. Von Leonore Niessen-Deiters. Mit Buchschmuck von Hans Deiters, Düsseldorf. Stuttgart, J. G. Cottasche Buchh., Nachfolger. Gebunden 4 Mark.

Die beiden von der Kritik günstig aufgenommenen Werke „Leute mit und ohne Frack“ und „Mitmenschen“ haben den Namen der rheinischen Erzählerin bekannt gemacht. Auch dies neue Buch Erzählungen und Skizzen ist eine reife Gabe, ein Werk voll Humors tiefsten Ernstes und mit einem Einschlag treffender Satire. Die Dichterin zeigt uns verschiedenen Arten der Liebe oder dessen, was man so nennt. Der Schauplatz ist das Dorf oder die Kleinstadt, beide ebenso gut gesehen und charakterisiert wie die Menschen. Die größere Novelle „Stina Rapp“ ist das feinste Stück des Bandes. Mit großer dichterischer Kraft ist da ein eigenartiges Frauenschicksal bis zum erschütternden Ende dargestellt. „Liebe“ und „Die Unschuld vom Lande“ sind vortreffliche Ausschnitte aus dem Lebe einfacher Menschen mit ganz unkompliziertem Empfinden, und eine kräftige Satire auf die Mitwirkung von Damen der Gesellschaft die Skizze „Das Heim“. Alle diese Stücke und noch zwei andere schmückte der Bruder der Verfasserin mit Bildern voll Reiz, die nach Silhouetten hergestellt wurden, die der Künstler mit der Schere schnitt. Das Buch ist zu empfehlen.

L. Schr. 12.12.1910. Leipziger Neueste Nachrichten

Im Liebesfalle. Von Leonore Niessen-Deiters. Mit Buchschmuck von Hans Niessen-Deiters. Stuttgart und Berlin, J.G. Cotta Nachf.

Unsere Leser kennen Leonore Niessen-Deiters. Sie ist unter allen lebenden Schriftstellerinnen wohl die einzige, die wirklichen Humor hat: einen Humor, der die Härten Klüfte des Lebens nicht übersieht, der die Drastik nicht verschmäht, der aber immer aus einem gütigen Herzen quillt. Ihre einfache und natürliche Vortragsweise , die stets aus dem lebendigen, volkstümlichen Sprachschatz schöpft, gibt den Erzählungen etwas Zwangloses; und doch wie sicher laufen sie ihren Weg, wie drängt sich alles nach der Pointe hin, die, überraschend und doch wohl vorbereitet, ihr Licht rückwärts über den Gang der Handlung wirft! Wie vielseitig und wandlungsfähig ist ihre scheinbar so einfache Kunst! Von den hier gesammelten Geschichten – Liebe, Peter Schlumpfens Verlobung, Stina Rapp, Das Heim, Ein Brief, Die Unschuld vom Lande – ist jede für sich ein kleines Meisterstück und ihre Nebeneinanderstellung gibt jeder ein neues Relief. Gerade, wer die einzelnen Stücke bereits kennt, wird durch den Besitz des Buches einen neuen Genuß erleben: weil sich vor seinen Augen die Persönlichkeit der Dichterin zusammenschließt und rundet, in ihrer Vielseitigkeit und doch Bestimmtheit greifbar wird. Der Buchschmuck von Hans Deiters, nach geschnittenen Silhouetten, paßt sich graziös und charakteristisch dem Text an; er schmückt ihn aus einem kongenialen Geiste heraus, so daß der Zusammenhang rein und vollkommen ist. Somit sei dieses schöne Hausbuch unseren Lesern besonders ans Herz gelegt.

14.12.1910 Neue Hamburger Zeitung

Rezensionen zu „Die unordentlich verheiratete Familie“, Stuttgart, Berlin 1912

Leonore Niessen-Deiters. Die unordentlich verheiratete Familie. Ein Skizzenbuch. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart.

Was ist das: eine unordentlich verheiratete Familie? Der auf dem Umschlag stehende Storch, der lustig klappernd einen Stammbaum zu studieren scheint, läßt im Verein mit diesem Titel kleine pikante Geschichten erwarten, wie sie auch der ernster gerichtete Leser zur Abwechslung einmal nicht verschmäht. Aber das neue Buch der Niessen-Deiters bringt doch mehr. Diese Reihe anscheinend bunt zusammengewürfelter Erzählungen und Skizzen, die indessen nach einem ganz bestimmten Plane geordnet sind, macht uns mit allen Mitgliedern einer weitverzweigten Familie bekannt, den braven, bürgerlich soliden, zum Teil sogar zu „höheren Schichten“ der Gesellschaft aufgestiegenen und den verwilderten, in der Welt herumzigeunernden, die unverschämt genug sind, den riesigen Abstand von jenen gar nicht einmal zu erkennen. Auf ein Familienmeeting bringt das Haupt der Familie, die unglaublich vornehme Tante von Meier – der Onkel fabriziert Emaillewaren, züchtet Vollblut und ist für seine Verdienste um die Landwirtschaft geadelt –, alle Angehörige des Geschlechts, die ihr etwas zu versprechen scheinen, zusammen, um den Familiensinn zu stärken und die „ordentlich“, d.h. standesgemäß Verheirateten und aus solchen Ehen hervorgegangenen zu einer engeren Verbindung zu vereinigen, mit der sie prunken kann. Und sie muß es erleben, daß die Zahl dieser „Ordentlichen“ bei näherem Zusehen schauderhaft zusammenschrumpft! Die einzige „Adlige“ des Kreises entpuppt sich als ein verarmtes Fräulein, das in Stellung ist und Zwirnhandschuhe trägt, der „dekorative“ Vetter Udo, ein schneidiger Kavallerieleutnant, hat seinen Attila mit dem Zivil des Weinagenten vertauschen müssen, der vermeintliche Großkaufmann vom Rhein ist ein Kleinkrämer untersten Ranges und die Gattin des weltmännischen Egon Lobschütz führt sich gar als Exzentrik-Tänzerin Fanny-Fanny vom Wintergarten ein. So wird der schöne Bund gesprengt, noch ehe er geschlossen, und die Tante von Meier verläßt mit den Einzigen, die ihrer würdig, einem hanseatischen Landrichter und einem Fräulein Klotilde, der „Tante mit den vornehmen Bekanntschaften“, zürnend den Familientag. Sehr ergötzlich und mit liebenswürdiger Bosheit schildert die Verfasserin in den folgenden Kapiteln: „Fanny-Fanny“, „Das unverschämte Fräulein“, „Tante Klotildens Brunnenbekanntschaft“, „Udo der Edelsozialist“ und „Onkel Felix“, die Vorgeschichte und die weiteren Schicksale der Helden dieser Familien-Komödie, wobei es weiter nicht verwunderlich ist, wenn die Unordentlichen, das arme „Fräulein“, die Tingeltangeltänzerin usw. sich als aufopfernde, seelisch starke Naturen erweisen, während die Ordentlichen sich allesamt sehr blamabel aufführen. Von besonderem Reiz ist in dem frisch geschriebenen Buche die originelle Gestalt des gelehrten Onkel Felix, der allen Leuten die Wahrheit sagt und dem es Vetter Udo, der Edelsozialist, zu danken hat, wenn er nach einer verzettelten Jugend noch ein Mann wird. Die einzelnen Geschichten, deren Grundstimmung Humor ist, obgleich sie keineswegs im landläufigen Sinne humoristisch sind, sind mit fein-satyrischen Zeichnungen von Hans Deiters geschmückt.

17.9.1912 Hannoverscher Curier

„Die unordentlich verheiratete Familie“ Skizzenbuch von Leonore von Niessen-Deiters mit Zeichnungen von Hans Deiters (Stuttgart und Berlin, Deutsche Verlags-Anstalt 1912. 214 S. Pr. geh. 3 Mk., geb. 4 Mk.).

Schon der Titel läßt erwarten, daß die Verfasserin, wie auch schon in ihren früheren Büchern, für diese Rahmenerzählungen vorwiegend heitere Szenen aus dem Familien- und Gesellschaftsleben gewählt hat. Daß sie, gleich Presber, auch ernsten Themen gewachsen ist, beweist u.a. „Ein Kapitel aus einem Roman“. Selbst hausbackenen Vorwürfen weiß sie feine humoristische Wirkungen abzugewinnen. Die Einleitungserzählung macht uns in einer köstlichen Ensembleszene mit der Mehrzahl der zum Teil „unordentlich“, d.h. nicht standesgemäß verheirateten Mitglieder dieser weitverzweigten Familie bekannt. Sie gibt der Verfasserin Gelegenheit, ihren, wohl auch bis zur Satire verschärften Spott grade über „die Feinsten von ihnen“ auszugießen, die frisch geadelte Frau Kommerzienrat von Meier, den korrekten Landrichter, die mit ihren vornehmen Bekanntschaften renommierende Tante Klotilde und den Kunstgelehrten Justus J. J. Mueller (eigentlich Johann Müller), durch Eitelkeit, Selbstsucht und Dünkel sämtlich dafür sehr geeignete Objekte. Aber es fehlt auch nicht an sympathischen Erscheinungen und spaßigen Originalen. Die prächtigste Figur ist zweifellos Onkel Felix, der bescheidene Gelehrte von Weltruf und milde Beurteiler menschlicher Schwächen, der auch mit Anstand und Überlegenheit zu sterben weiß. Diese gemüt- und humorvollen zwölf Kapitel sind die wertvolle Gabe einer noch jungen, aber ganz ungewöhnlich klugen und menschenkundigen Frau. Auch dieses ihr jüngstes Buch hat durch ihren Bruder, den Düsseldorfer Maler Hans Deiters, einen angemessenen Bilderschmuck erhalten.

29.6.1912, Schlesische Zeitung, Breslau

1 Die Rezensionen stammen aus einem Album, in das die Autorin eigenhändig unzählige Kritiken zu ihren Büchern eingeklebt hat. Das Album befindet sich im Teilnachlass der Autorin im Frauen-Kultur-Archiv.