Fotografinnen der frühen Moderne im Rheinland
Anne Winterer (1894-1938)

Die Ausbildung zur Fotografin

Anne Winterer, geboren am 21. September 1894 in Konstanz, traf nach ihrer Schulzeit die Entscheidung, sich zur Fotografin ausbilden zu lassen. Ihre Lehre begann sie 1912 und konnte diese am 14. April 1915 mit der erfolgreich bestandenen Gesellenprüfung abschließen. Danach erfolgte kurzfristig eine dreimonatige Beschäftigung im „Atelier für moderne Photographie! Alb. Ziegler“ in Furtwangen, Schwarzwald, dessen Leitung sie für diesen Zeitraum übernahm.

Frühes Wirken in Düsseldorf

Anne Winterer zog es im August 1915 beruflich nach Düsseldorf. In der Stadt am Rhein arbeitete sie bis 1917 in Emil Lichtenbergs „Atelier für photographische Bildnisse“, wo sie in den Sparten Technik-, Industrie- und Architektur-Fotografie tätig war. Sie wechselte dann in das „Photographische Atelier Constantin Luck“ in der Victoriastraße 26. Dort arbeitete sie schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der Porträtaufnahmen, darunter auch Kinderporträts. So hatte Anne Winterer für ihre beiden späteren fotografischen Schwerpunkte, Industriefotografie und Porträtaufnahmen, früh die Grundlagen entwickeln können.

Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer

1924 lernten sich Anne Winterer und Erna Hehmke an der Ostsee kennen. Anne Winterer erkannte sehr schnell Erna Hehmkes fotografisches und künstlerisches Potenzial. Es gab in der Einstellung zur Fotografie eine gemeinsame Basis. Anne Winterer war bereit, die Foto-Ausbildung Erna Hehmkes zu übernehmen. Nach Abschluss einer einjährigen Lehrzeit bot sie der jüngeren Kollegin an, gleichberechtigt in ihrem Atelier zu arbeiten. Ab 1925 führten sie gemeinsam die „Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer“ auf der Bismarckstraße in Düsseldorf.

Für ihre Fotoarbeiten gewannen Anne Winterer und Erna Hehmke mehrfach Preise. Eine besondere Auszeichnung war der Erhalt einer Goldmedaille der Stadt Düsseldorf im Rahmen der „Großen Ausstellung Düsseldorf 1926 für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen“, der „GeSoLei“ - in der Kategorie „Wissenschaftliche Aussteller“. Die „GeSoLei“ gehörte zu einem der wichtigsten Großereignisse der Zeit und sollte die Weimarer Republik sowie die Region würdig repräsentieren. In etlichen Ausstellungshallen – wie dem noch heute erhaltenen Ehrenhof oder den Rheinterrassen – wurden auf über 400.000 m² verschiedene Präsentationen aus den Bereichen der Wissenschaft, Kunst und Kultur sowie von Unternehmen dargeboten.

Ende der 1920er und in den frühen 1930er Jahren war die Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer ein sehr gefragtes Atelier, das Fotoaufträge in den Bereichen Kunst, Theater und Industrie aus der ganzen Region wahrnehmen konnte.

Frühe Dreißiger Jahre

Seit Beginn der 30er Jahre sind Fotografien von Anne Winterer in der renommierten Kulturzeitschrift „Atlantis“ dokumentiert. Zu dem typischen Erscheinungsbild der Monatsschrift, die von dem Schweizer Verleger Martin Hürlimann herausgegebenen wurde, gehörten neben illustrierten Artikeln auch umfangreiche Fotoreportagen zu Themen aus den Ressorts Kunst, Kultur, Reisen, Wissenschaft sowie Geschichte. So konnte Anne Winterer 1932 eine Fotoserie zu den traditionellen Fastnachtumzügen im Schwarzwald präsentieren (nachfolgend zwei Fotos daraus).

In ihrem Spezialgebiet der Industriefotografie entstanden viele Aufnahmen aus dem Bereich des Bergbaus, beispielsweise Lichtbilder für die Werkszeitschrift der „Harpener Bergbau AG“, und Fotos von Zechenanlagen an der Ruhr und Auftragsarbeiten für etliche andere Industriebetriebe.

Kohlekähne im Duisburger Hafen, 1932
Winderhitzer eines Hochofens in Neunkirchen (Saar), 1934 [Quelle: Atlantis. Länder/ Völker/ Reisen. 6. Jg., H. 9, Berlin 1934.]
Fastnacht in Villingen (Schwarzwald), die Figur des Hansele, 1932 [Quelle: Atlantis. Länder/ Völker/ Reisen. 4. Jg., H. 2, Berlin 1932, S. 80.]
Villingerinnen mit Tracht und Masken, 1932 [Quelle: Atlantis. Länder/ Völker/ Reisen. 4. Jg., H. 2, Berlin 1932, S. 81.]

Mit dem ihr eigenen Blick für Perspektiven und Strukturen stellte sie die zu fotografierenden Objekte nüchtern in ihrer Einfachheit und Klarheit dar, ohne dass die abgelichteten Motive experimentelle Formen annahmen, wodurch sich Anne Winterer hinsichtlich ihres fotografischen Stils der „Neuen Sachlichkeit“ zuordnen lässt. Bei ihren Aufnahmen achtete sie stets auf die strikte Formwiedergabe ihrer Motive und bewahrte somit die Distanz zu ihnen, weshalb ihre Fotos einen dokumentarischen Charakter bekamen, was von ihren industriellen Auftraggebern geschätzt wurde.

Rückkehr nach Konstanz

Nach einem Jahrzehnt des erfolgreichen Betreibens der „Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer“ verließ Anne Winterer 1935 Düsseldorf aus nicht bekannten Gründen und kehrte zurück in ihre Heimatstadt Konstanz. Hier eröffnete sie ihr eigenes Atelier. In der Zeit von 1935 bis 1938 unternahm sie zahlreiche Fotoreisen, die sie nach Italien, Österreich, Portugal und in die Schweiz führten. Anne Winterer starb am 17. August 1938 in einem Berliner Krankhaus an Krebs. Sie gehört zu jenen Fotografinnen, die in den Zwanziger- und Dreißigerjahren Besonderes geleistet haben, aber mittlerweile fast in Vergessenheit geraten sind. Die Wiederentdeckung von Anne Winterer ist dem Historiker Matthias Dudde zu verdanken.

Neuer Förderturm der Grube Hausham [Quelle: Festschrift zum 50jährigen Bestehen von M. Stromeyer Lagerhausgesellschaft 1887-1937. Konstanz 1937.]
Hafen-Lagerplatz „Oberrhein“, Basel [Quelle: Festschrift zum 50jährigen Bestehen von M. Stromeyer Lagerhausgesellschaft 1887-1937. Konstanz 1937.]
Vorspinnerei mit Kremplerin[Quelle: Festschrift: 350 Jahre Tuchmacher J.J. Marx. Lambrecht 1935.]
Arbeitssaal der Materialprüfung [Quelle: Festschrift: 350 Jahre Tuchmacher J.J. Marx. Lambrecht 1935.]

Zugrunde gelegte Literatur und Internetquellen:
Matthias Dudde: Eine vergessene Fotografin neu entdecken. Der Nachlass von Anne Winterer (1894–1938). In: Industrie-Kultur. Magazin Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte, 1/2007 S. 38-39.
http://www.matthias-dudde.de/content/pers-winterer.php
http://www.fotografenwiki.org/index.php?title=Anne_Winterer
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