Fotografinnen der frühen Nachkriegszeit im Rheinland
Ruth Hallensleben (1898 – 1977)

Frühe Jahre

Ruth Hallensleben, am 1. Juni 1898 als zweites Kind des Kaufmanns Anton Hallensleben und seiner Frau Philippine geboren, wuchs in Köln auf und machte dort 1914 ihren Schulabschluss. Zur Fotografie kam sie erst 1930. Bis 1933 war Ruth Hallensleben als Lehrling bei der Porträtfotografin Elsbeth Gropp in Köln beschäftigt, bei der sie ihre Ausbildung erfolgreich abschloss und noch bis November 1934 arbeitete. Bereits im Dezember 1934 machte sich Ruth Hallensleben selbstständig und führte fortan ihr eigenes Fotoatelier am Hansaring in Köln, das während des Zweiten Weltkrieges zerstört wurde.

Der Neuanfang nach 1945

Nach Kriegsende baute Ruth Hallensleben sich ein geräumiges Atelier in Wiehl auf. Dort wirkte sie während der 1950er Jahre, bis sie 1961 ihren Standort endgültig nach Wuppertal-Elberfeld verlagerte. Der Ortswechsel lag vornehmlich in der zentralen geografischen Lage zu ihren Auftraggebern begründet. Während sie zuvor in Wiehl verhältnismäßig weit im Süden ansässig war und speziell für ihre Aufträge im Ruhrgebiet immer einen langen Anfahrtsweg auf sich nehmen musste, hatte sie in Wuppertal die optimale Ausgangsposition für sich gefunden, um zwischen den Ballungszentren Köln, Düsseldorf und dem Ruhrgebiet zu pendeln.

Bergische Achsenfabrik, Schmiede-Interieur mit Fallhammer, 1951. [Quelle: Schleper, Thomas u. a. (Hrsg.): Belichtete Geschichte. Die Fotografin Ruth Hallensleben im Oberbergischen Land. Gummersbach 1993, S. 53]
Bergische Achsenfabrik, Stapel Lenkachsenschenkel, 1951 [Quelle: Schleper, Thomas u. a. (Hrsg.): Belichtete Geschichte. Die Fotografin Ruth Hallensleben im Oberbergischen Land. Gummersbach 1993, S. 63]
Schmidt + Clemens, Lichtbogenofen, 1957 [Quelle: Schleper, Thomas u. a. (Hrsg.): Belichtete Geschichte. Die Fotografin Ruth Hallensleben im Oberbergischen Land. Gummersbach 1993, S. 99]

Auftragsarbeit: Industriefotografie 1934-1945

Das fotografische Wirken Ruth Hallenslebens umfasst Porträt-, Architektur-, Reportage- und Landschaftsaufnahmen. Ihr eigentliches Arbeitsfeld aber war seit den frühen 30er Jahren die Industriefotografie. Ruth Hallensleben, die ihr Studio ganz bewusst als „Lichtbildwerkstätte“ bezeichnete und für die Fotografie in erster Linie ein solides Handwerk war, gehört zu den Pionierinnen auf diesem Gebiet. Ihre Bilder dokumentieren im Verzicht auf ausgefeilte Lichteffekte oder optische Tricks über dreißig Jahre Technik- und Industriegeschichte des Rheinlandes.

Den Einstieg in die Industriefotografie vermittelte Ruth Hallensleben ihr Bekannter Wilhelm Debus, seit 1926 Chefredakteur von „Das Werk“, der Betriebszeitung der Vereinten Stahlwerke Aktiengesellschaft (VST), damals der zweitgrößte Montan-Konzern der Welt mit Sitz in Düsseldorf. 1934 veröffentlichte er Aufnahmen von Ruth Hallensleben, denen weitere Fotoprojekte für „Das Werk“ folgten. Darüber hinaus erhielt sie den ersten größeren Fotoauftrag von der Vereinten Stahlwerke Aktiengesellschaft. Eine weitere wichtige berufliche Weichenstellung gelang ihr schließlich im Jahr 1938 durch die Zusammenarbeit mit der Hoppenstedt Verlagsanstalt, Berlin, die hauptsächlich Jubiläums- und Werbeschriften für führende Wirtschaftsunternehmen veröffentlichte. Seit 1939 arbeitete Ruth Hallensleben dann primär als Auftrags- und Werbefotografin der Industrie: Als Berufsfotografin hatte sie ihre Arbeit den Interessen ihres spezifischen Kundenstamms weitgehend unterzuordnen, wollte sie sich und ihre Mitarbeiterinnen erfolgreich finanzieren. So übernahm sie u. a. auch Aufträge für „Wehrwirtschaftsbetriebe“ im In- und Ausland und für NS-Institutionen wie den Reichsarbeitsdienst. „Ob sie diese erzwungenermaßen übernahm und ausführte und in welchem Rahmen sie veröffentlicht wurden“, so schreibt Ulrike Herrmann über diese Zeit, „konnte bis heute nicht geklärt werden“ (S. 23, s. Literaturangabe).

Glätten der Tabakblätter, Tabakfabrik Neuhaus, 1950 [Quelle: Peters, Ursula (Hrsg.): Ruth Hallensleben. Frauenarbeit in der Industrie. Fotografien aus den Jahren 1938-1967. Berlin 1985, S. 91 © Lotte Laska]
Kontrolle der Schreibmaschinen, Firma Siemag, 1949 [Quelle: Peters, Ursula (Hrsg.): Ruth Hallensleben. Frauenarbeit in der Industrie. Fotografien aus den Jahren 1938-1967. Berlin 1985, S. 95 © Lotte Laska]
In der Gummitierabteilung, Radium Gummiwerke Köln, 1954 [Quelle: Peters, Ursula (Hrsg.): Ruth Hallensleben. Frauenarbeit in der Industrie. Fotografien aus den Jahren 1938-1967. Berlin 1985, S. 104 © Lotte Laska]

Die motivische Vielfalt der Industriefotografie

Bedingt durch die Vielzahl der Aufträge aus allen industriellen Bereichen gelang es Ruth Hallensleben im Laufe der Zeit, eine große Bandbreite verschiedener Motive abzulichten. Schließlich erstreckten sich ganze Fotoreihen über einzelne Industriezweige. Dazu gehörten in den 1950er Jahren vor allem Auftragsarbeiten für Bergwerke. In diesem Kontext entstand 1955 der zum 75-jährigen Bestehen der „Maschinenfabrik Korfmann GmbH“ in Auftrag gegebene Bildband mit dem Titel „Die tausend Hände des Bergmanns“. Hierfür lichtete Ruth Hallensleben nicht nur die einzelnen Maschinen und Montagehallen ab, sondern fotografierte die Bergleute direkt bei der Arbeit unter Tage, was für sie aufgrund der Enge der Stollen mit einem enormen Aufwand verbunden war. Doch sie scheute keine Mühen, weil es der Fotografin bei ihren Aufnahmen auf die Natürlichkeit des Umfelds ankam, wofür sie sogar die Strapazen unter Tage auf sich nahm.

Im Stollen, Witten Ruhr, um 1954 [Quelle: Maschinenfabrik Korfmann GmbH (Hrsg.): Die tausend Hände des Bergmanns. Darmstadt 1955, S. 20]
Streckenbogenraubgerät im Untertageeinsatz, um 1954 [Quelle: Maschinenfabrik Korfmann GmbH (Hrsg.): Die tausend Hände des Bergmanns. Darmstadt 1955, S. 72]
Vierspindel-Zylinderbohrmaschine, um 1954 [Quelle: Maschinenfabrik Korfmann GmbH (Hrsg.): Die tausend Hände des Bergmanns. Darmstadt 1955, S. 79]

Statt die Arbeiter direkt vor ihr Objektiv zu holen und sie in einer gestellten Arbeitsszene zu porträtieren, fotografierte sie sie während ihrer Verrichtungen in ihrem ganz alltäglichen Arbeitsfluss aus einer Beobachterperspektive heraus, wodurch nicht nur ihre Bergwerksaufnahmen, sondern ihre Industriebilder insgesamt einen dokumentarischen Charakter bekamen. Zusätzlich nutzte sie ab ca. 1954 die Farbfotografie, die ihr völlig neue Möglichkeiten eröffnete. Die Motive ihrer Industriefotos sind über Jahre hinweg nahezu identisch geblieben. Viele ihrer Bilder zeigen Arbeitsräume, die der Planung und Verwaltung dienten, oder weitläufige Räume und Produktionshallen von Fabriken. Aber auch einzelne Arbeitsmaschinen lichtete sie ab sowie Arbeiter an ihren Arbeitsplätzen, die sie immer in den Raum zu integrieren wusste. Dabei achtete sie stets darauf, die Regel des „Goldenen Schnitts“ zu wahren. Bei ihren Aufnahmen kam es der Fotografin auf Einfachheit an, sie verzichtete auf überhöht wirkende Hell- Dunkel-Inszenierungen oder verspielte Perspektiven. Stattdessen begnügte sie sich damit, mit natürlichem Licht bzw. mit möglichst wenig zusätzlicher Beleuchtung auszukommen.

Professionelle Reisefotografie in Italien

1952 begab sich Ruth Hallensleben auf eine längere Fotoreise nach Italien, wo beeindruckende Landschaftsaufnahmen entstanden. Sie bereiste das ganze Land und machte sowohl in den kulturellen Zentren Florenz und Rom als auch an den bei Touristen beliebten Plätzen des Landes Halt. Während dieser Zeit fotografierte sie u. a. die Amalfi-Küste, das Collosseum sowie den Schiefen Turm von Pisa und zeigte auf ihren Bildern eindrucksvolle Szenen toskanischer Naturlandschaft. Ihre Fotos vermittelten den Betrachtern das Urlaubsflair des Südens und weckten bei ihnen die Lust darauf, selbst in das beliebte Ferienland am Mittelmeer zu reisen. Der überwiegende Teil ihrer Fotografien wurde im Auftrag des „Merian“ angefertigt. In dieser Reisezeitschrift veröffentlichte Ruth Hallensleben 1958 Fotos aus Neapel und Pompeji, die auf diese Weise als Werbung für die Gegend eingesetzt werden sollten.

Schiefer Turm von Pisa, 1952 © Fotoarchiv Ruhr Museum, Essen
Markusplatz & San Marco, Venedig, 1952 © Fotoarchiv Ruhr Museum, Essen

Architektur-, Landschafts- und Städteaufnahmen für Bildbände der Region

Aus den Anfängen, doch vor allem aus den letzten fünfzehn Jahren ihres Schaffens in ihrem Wuppertaler Atelier stammen etliche Fotografien von Landschaften und Städten sowie Architekturaufnahmen. Speziell bei Letzteren handelte es sich ebenfalls mehrheitlich um Auftragsarbeiten, während viele ihrer Landschaftsaufnahmen auch aus eigenem Antrieb heraus entstanden. Lediglich die Porträtfotografie vernachlässigte sie nach Abschluss ihrer Ausbildung nahezu völlig. Stattdessen lieferte sie beispielsweise umfangreiches Bildmaterial für den 1962 erschienenen Bildband „Niederrhein“, in dem die Schönheit und Vielfalt der Region wirkungsvoll zum Ausdruck gebracht wurde. Zu diesem Zweck lichtete Ruth Hallensleben bedeutende architektonische Bauwerke wie den Kölner und den Aachener Dom oder das Amphitheater in Xanten ab, aber auch alte Burgen und typische Gebäude, die die Stadtbilder prägen, sowie ganz alltägliche Orte der Region, darunter z.B. Kuhweiden am Niederrhein. Häufig nahm sie auch Fotoarbeiten von Gemeinden an, die bei ihr Postkarten von örtlichen Kirchen in Auftrag gaben. Für ihre Architektur- und Landschaftsaufnahmen verwendete sie oftmals ein Weitwinkelobjektiv, um eine perspektivische Vergrößerung zu erzielen. 1971 stellte Ruth Hallensleben viele Aufnahmen zentraler Orte in Düsseldorf zur Illustration des von Anna Klapheck verfassten Buches über die rheinische Landeshauptstadt zusammen. Ihren Architekturfotos verlieh Ruth Hallensleben einen ästhetisch-harmonischen Ausdruck und ihre Landschaftsbilder vermittelten dem Betrachter eine romantische Naturidylle, weshalb diese beiden fotografischen Motivkreise einen starken Kontrast zu den nüchtern gehaltenen Industrieaufnahmen bildeten.

Düsseldorf, Rathaus mit Reiterstandbild Jan Wellems [Quelle: Beseler, Hartwig: Niederrhein. Aufnahmen von Ruth Hallensleben. München u. a. 1962, Bild 94]
Köln, St. Aposteln, Zwerggalerie [Quelle: Beseler, Hartwig: Niederrhein. Aufnahmen von Ruth Hallensleben. München u. a. 1962, Bild 42]
Heisterbach, Ruine der Zisterzienser-Abteikirche [Quelle: Beseler, Hartwig: Niederrhein. Aufnahmen von Ruth Hallensleben. München u. a. 1962, Bild 30]
Die Niers [Quelle: Beseler, Hartwig: Niederrhein. Aufnahmen von Ruth Hallensleben. München u. a. 1962, Bild 128]
Rheinfischer bei Dormagen [Quelle: Beseler, Hartwig: Niederrhein. Aufnahmen von Ruth Hallensleben. München u. a. 1962, Bild 130]

Das Ende ihres Wirkens

Mit ihren Werken nahm Ruth Hallensleben mehrfach an Ausstellungen teil, wie z. B. 1963 in Hamburg oder 1970 im Essener Museum Folkwang. 1971 wurde sie Mitglied in der „Deutschen Gesellschaft für Photographie“ (DGPh). Nach langjähriger Arbeit und vielen Fotoreisen, die sie u. a. in die Schweiz, nach Italien oder in die Provence unternahm, beendete sie 1973 ihre berufliche Tätigkeit als Fotografin. Ruth Hallensleben verstarb am 18. April 1977 78-jährig in ihrer Geburtsstadt Köln.

© Frauen-Kultur-Archiv Düsseldorf
Zu Grunde gelegte Literatur
Borsdorf, Ulrich; Kania, Rolf: Ruth Hallensleben. Industrie und Arbeit. Industriefotografie aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Katalog der Ausstellung des Ruhrlandmuseums Essen, 7.6.-15.7.1990. Essen 1990.
Herrmann, Ulrike: Ruth Hallensleben. Einer Fotografin auf der Spur. In: Thomas Schleper; Gudrun Sievers-Flägel (Hgg.): Belichtete Geschichte. Die Fotografin Ruth Hallensleben im Oberbergischen Land. Gummersbach 1993, S. 21-60.
Ruth Hallensleben (1898-1977): Industriephotographie. Katalog der Ausstelleng des Von der Heydt-Museums Wuppertal, 20.3.-30.4.1983. Wuppertal 1983.
Schleper, Thomas; Sievers-Flägel, Gudrun (Hgg.): Belichtete Geschichte. Die Fotografin Ruth Hallensleben im Oberbergischen Land. Gummersbach 1993.