Fotografinnen der frühen Nachkriegszeit im Rheinland
Liselotte Strelow (1908 – 1981)

Kindheit und Jugend

Liselotte Strelow, geboren am 11. September 1908, verbrachte ihre Kindheit in ihrem Geburtsort Redel (Pommern), wo sie in einfachen Verhältnissen aufwuchs. Von 1915 bis 1923 besuchte sie eine Volksschule sowie das Lyzeum in Neustettin. Danach begann sie 1924 eine Ausbildung zur Landfrau, die sie 1929 beendete. Doch da die junge Frau aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse von ihrem erlernten Beruf nicht leben konnte, orientierte sie sich bald um und entschied sich, stattdessen eine fotografische Ausbildung zu beginnen.

Die Fotografinnen-Ausbildung in Berlin

Wegen der guten Ausbildungsmöglichkeiten im renommierten Lette-Verein zog Liselotte Strelow 1930 nach Berlin, wo sie Fotokurse belegte. Ab 1932 war sie im Atelier der Fotografin Suse Byk am Kurfürstendamm beschäftigt und bestand ein Jahr später erfolgreich ihre Gehilfenprüfung. Eigenen Aussagen zufolge nahm sich Liselotte Strelow die Künstler der avantgardistischen Bauhaus-Kunst zum Vorbild. Durch diese lernte sie den individuellen Ausdruck eines jeden Gesichts ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, statt ablenkende Elemente der Umgebung in das Bild zu integrieren.
Schon während ihrer Ausbildung stellte sie speziell ihr Können im Bereich der Porträtfotografie unter Beweis. Dieses Gebiet sollte – neben der Theaterfotografie – bald ihre Domäne werden. In der Zeit von 1933 bis 1938 nahm Liselotte Strelow Auftragsarbeiten für die „Kodak AG“ an und wurde außerdem in verschiedenen Bereichen des Unternehmens eingesetzt. Hierzu gehörten u. a. die Abteilungen für Produktentwicklung, Beleuchtung und professionelle Farbfotografie, sodass Liselotte Strelow im Laufe der Zeit weitere Beleuchtungstechniken kennen lernte und sich hinsichtlich neuester fotografischer Entwicklungen stets auf dem aktuellsten Stand befand. Die Fotografin widmete sich kontinuierlich ihrem beruflichen Fortkommen und absolvierte 1936 erfolgreich ihre Meisterprüfung zum Thema „Wirkung von Polarisationsfiltern“. Im Oktober 1938 übernahm sie das Atelier von Suse Byk; während des Krieges wurde das Fotostudio am Kurfürstendamm jedoch durch Bombenangriffe vollständig zerstört – Liselotte Strelow stand vor den Trümmern ihrer beruflichen Existenz.

Der Neubeginn in Detmold

Nach Kriegsende ging Liselotte Strelow zunächst nach Detmold, um dort in ihrem Metier Fuß zu fassen. Die schwierigen Nachkriegsjahre, die finanziell unsicheren Verhältnisse bis zur Währungsreform 1948 und der bestehende Materialmangel hielten die Fotografin nicht davon ab, sich voll und ganz der Fotografie zu widmen. In dieser Zeit fotografierte sie in Detmold Persönlichkeiten wie den Politiker Kurt Schumacher und unternahm viele Städtereisen, wobei es sie für ihre Porträtaufnahmen überwiegend in Kultureinrichtungen zog.

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Kurt Schumacher, 1947 © Gesellschaft Photo Archiv e.V. Bonn/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013
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Elisabeth Flickenschildt, 1949 © Gesellschaft Photo Archiv e.V. Bonn/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Inzwischen hatte Liselotte Strelow auch ihre Leidenschaft für die Theaterfotografie entdeckt. Während ihrer Zeit in Detmold entstanden bereits viele Porträtaufnahmen von Schauspielern des dortigen Landestheaters, z. B. Aufnahmen von Heinrich George, sowie von Regisseuren und anderen Kulturschaffenden. Insofern war es nur ein kleiner Schritt für die Fotografin, auch aktuelle Bühneninszenierungen zu dokumentieren. Die Ergebnisse ihrer Arbeit erschienen oftmals in Zeitungen bzw. waren Auftragsarbeiten für Werbezwecke des jeweiligen Schauspielhauses, sodass Liselotte Strelow mit diesen Veröffentlichungen den Grundstein für ihre umfangreiche und professionelle Theaterfotografie legte.

Düsseldorf – Theaterfotografie im eigenen Atelier

Fünf Jahre später, 1950, ließ sich Liselotte Strelow im Rheinland nieder, nachdem ihr ein von Gustaf Gründgens verfasstes Empfehlungsschreiben den Einstieg als Fotografin in Düsseldorf erleichterte. Angekommen in der Stadt am Rhein, etablierte sie sich in ihrem neuen Atelier auf der Königsallee nach anfänglichen finanziellen Schwierigkeiten äußerst schnell. Weil das Theater einen hohen Stellenwert im kulturell sehr interessierten Nachkriegsdeutschland hatte, konnte Liselotte Strelow in den 1950er Jahren und bis in die ’60er Jahre hinein ihren fotografischen Schwerpunkt auf diesen Bereich konzentrieren. Sie dehnte ihren Wirkungskreis über Düsseldorf hinaus auf die Kölner Bühnen, das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg sowie auf die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele aus.

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Gisela Matthishent in „Die Troerinnen“, Kammerspiele Hamburg, 1947 © Gesellschaft Photo Archiv e.V. Bonn/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013
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Ida Ehre in „Die Troerinnen“, Kammerspiele Hamburg, 1947 © Gesellschaft Photo Archiv e.V. Bonn/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Im Rahmen ihrer Theaterfotografie fertigte Liselotte Strelow sowohl Rollenporträts als auch Szenenaufnahmen an, bei denen sie neben den Schauspielern den gesamten Bühnenraum in das Bild zu integrieren wusste. Von Gustaf Gründgens bekam sie in diesem Zusammenhang auch Aufträge für Sonderfotos von speziellen Rollenporträts, darunter für die Stücke „Hamlet“, „Wallenstein“ und „Herrenhaus“. Später dokumentierte sie ebenso Aufführungen des Tanztheaters, darunter 1952 die Uraufführung des Balletts „Das Goldfischglas“. Wenn es ihr möglich war und sie die entsprechende Genehmigung erhielt, wohnte die Fotografin den laufenden Theaterproben bei. Sofern ihr diese Anwesenheit nicht gestattet wurde, ließ sie im Anschluss die wichtigsten Szenen für die Kamera noch einmal nachspielen. Denn anstelle von gestellten Rollenbildern schätzte sie vielmehr solche Bühnenaufnahmen, die direkt während der Proben zu einem Stück entstanden und auf diese Weise eine harmonische, fließende Einheit bildeten. So besaßen speziell diese Fotografien eine ganz eigene Dynamik, weil ihre besondere Aufnahmetechnik den dargestellten Theaterszenen und Momentaufnahmen der Schauspieler eine unverwechselbare Lebendigkeit und Natürlichkeit verlieh.

Ihr Beruf war für Liselotte Strelow eine wahre Berufung, und ihre Art des Fotografierens wurde bald stilprägend für die fotografische Darstellungsweise der damaligen Zeit. Sie selbst entwickelte sich zu der großen Theater- und Porträtfotografin der 1950er und '60er Jahre.

Ihr fotografisches Selbstverständnis – Porträtaufnahmen der ´50er und ´60er Jahre

Gegenüber ihren eigenen Fotografien war Liselotte Strelow mehr als kritisch eingestellt – sie galt als eine Perfektionistin par excellence. Neben der Theaterfotografie bildeten ihre Porträtaufnahmen weiterhin ihren zweiten großen Wirkungsbereich. Folglich strebte sie auch bei den Porträts ein hohes Maß an Präzision an, um das Charakteristische einer Person und möglichst viele ihrer Wesenszüge zu erfassen. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass sie es nicht schaffen würde, alle Charakterzüge eines Menschen vollständig in einem einzigen Bild zu erfassen. So erklärt es sich, weshalb Liselotte Strelow mitunter hundert verschiedene Aufnahmen von ein und derselben Person machte, stets in der vergeblichen Hoffnung, doch noch das perfekte Foto zu erhalten.

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Otto Pankok, 1953 © Gesellschaft Photo Archiv e.V. Bonn/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013
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Martin Buber, 1954 © Gesellschaft Photo Archiv e.V. Bonn/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013
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Ingeborg Bachmann, 1961 © Gesellschaft Photo Archiv e.V. Bonn/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Der Fokus war stets auf das Gesicht gerichtet, niemals lenkte ein Hintergrund oder ein unscheinbares Detail von diesem Zentrum des Bildes ab. Liselotte Strelow vermied es, Aufnahmen aus einer eindimensionalen Frontaleinstellung zu machen – je nach Foto variierte sie den Aufnahmewinkel, verwendete ganz nahe oder weiter entfernte Kameraeinstellungen und experimentierte mit einer schräg aufgenommenen Totalen. Ihre Porträts lebten nicht zuletzt von den Widersprüchlichkeiten, die sie durch ihre Linse einfing: Die Fotografin zeigte sowohl die Licht- als auch die Schattenseite eines Menschen; sie ließ eine Person auf ihren Bildern sehr klar, eindrucksvoll und offen erscheinen, zugleich aber auch geheimnisvoll und völlig unnahbar. Das jeweilige Modell musste ihren eigenen Angaben zufolge eine gewisse Aktivität ausstrahlen und nicht einfach nur passiv wirken, denn der Betrachter sollte sich von dem Porträtierten regelrecht ergriffen und angesprochen fühlen. Schnappschüsse sagten Liselotte Strelow hingegen gar nicht zu: Wo es nur ging, vermied sie sie, denn sie entsprachen in keiner Weise ihrem Verständnis von hochwertiger Porträtfotografie, wie sie 1977 in einem Interview, geführt von Klaus Honnef, betonte:

Schnappschuß heißt ja ‚Abschießen’, heißt einen Bruchteil aus einem ganzen Menschenleben herausgefrieren. Porträt, wie ich es verstehe, heißt: in einem Bilde so viele von den hundert verschiedenen Charakterzügen, Wesenszügen eines Menschen zu sammeln wie möglich.

Klaus Honnef: Liselotte Strelow. Porträts 1933 – 1972. Köln 1977, S. 10)

Um das Innerste einer Person erfassen und erfolgreich auf das spätere Foto projizieren zu können, musste sie es schaffen, etwaige Hemmungen ihres Gegenübers abzubauen, weshalb sie sich viel mit Psychologie beschäftigte. Für sie war die „psychologische Führung“ von größerer Relevanz als die technische Seite des Fotografierens, um ein gelungenes Arbeitsergebnis in Form eines prägnanten Gesichtsausdrucks zu erhalten. Zu ihrer Arbeitsweise gehörte es deshalb, ihre Kunden ganz bewusst in Gespräche zu verwickeln, um sie so vom eigentlichen Prozess ihrer Arbeit abzulenken. Nur so offenbarten ihre Modelle unbewusst ihre natürlichen Verhaltensweisen, zeigten ihre ungeschönte Persönlichkeit, statt einen künstlichen, gestellten Eindruck zu vermitteln, in der Absicht, das perfekte Foto von sich zu erhalten.

Theodor Heuss – der Ursprung einer Briefmarke

In ihrem Atelier auf der Düsseldorfer Königsallee gingen Persönlichkeiten von Rang und Namen bald ein und aus. So lichtete sie Personen aus Politik, Kunst, Kultur und Wirtschaft ab. Hierzu gehörten u. a. Aufnahmen von Joseph Beuys, Marlene Dietrich, Hildegard Knef, Gottfried Benn sowie Konrad Adenauer und Theodor Heuss. Das Porträt, das „die Strelow“, wie sie inzwischen nur noch genannt wurde, von Theodor Heuss machte, wurde schließlich zur Vorlage für die Briefmarke des Bundespräsidenten, die in millionenfacher Auflage erschien. Liselotte Strelow galt spätestens jetzt als die Porträtfotografin der Wirtschaftswunderzeit und prägte die Wirkungsweise von Personen des öffentlichen Interesses durch ihre Art der fotografischen Darstellung maßgeblich mit. Denn nicht zuletzt mit ihrer Varianz in der Aufnahmetechnik erzielte sie entscheidende Unterschiede hinsichtlich der Sympathie und Vertrauenswürdigkeit, die eine abgelichtete Person auf dem jeweiligen Foto ausstrahlte.

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Theodor Heuss, 1957 © Gesellschaft Photo Archiv e.V. Bonn/ VG Bild-Kunst, Bonn 2013
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Briefmarke Serie Heuss  

Die medialen Facetten der „Strelow“

Ende der 1950er Jahre widmete sich Liselotte Strelow neben ihrer bisherigen Theater- und Porträtfotografie zusätzlich neuen Arbeitsaufträgen für Zeitschriften und Zeitungen („Rheinische Post“, „FAZ“, „Die Welt“, „Der Spiegel“ u. a.). In diesem Zusammenhang lieferte sie nicht mehr nur die Bilder, sondern verfasste auch regelmäßig eigene Artikel für fotografische Fachzeitschriften. Darüber hinaus arbeitete sie als Auftragsfotografin in der Werbebranche und entwickelte selbst Reportagen.
1961 veröffentlichte sie ihr Buch mit dem Titel „Das manipulierte Menschenbildnis oder Die Kunst, fotogen zu sein“, in dem sie auf die Realitätsverzerrung durch Fotografie hinwies und umfassend darlegte, welch starke manipulative Macht und Überzeugungskraft Bilder besitzen. Auch das Fernsehen blieb für die Fotografin kein ungenutztes Medium: Anknüpfend an den Themenkomplex ihres Buches dokumentierte sie Mitte der 1960er Jahre mit ihrer zehnteiligen Filmreihe „Sagt die Fotografie die Wahrheit?“ (WDR) erneut den manipulativen Charakter des Mediums „Bild“. Des Weiteren wurden mehrere Dokumentationen über das Leben der Fotografin und ihre Arbeit ausgestrahlt, an deren Produktion sie nachweislich beteiligt war.

Das Ende ihres Wirkens

Ende der 1960er Jahre verbrachte Liselotte Strelow erst einige Zeit in Berlin, bis sie 1969 schließlich nach München zog. Aufgrund von zunehmenden gesundheitlichen Problemen musste die Fotografin beruflich kürzer treten, fand für sich in ihrem sozialen Engagement jedoch eine neue sinnstiftende Beschäftigung.

Im Laufe ihrer langjährigen Berufstätigkeit nahm die Fotografin vielfach an Ausstellungen teil, z. B. an der „Photokina“, und erhielt mehrere Preise, u. a. 1957 die Goldmedaille der Photo-Biennale in Venedig sowie 1976 den Kulturpreis der „Deutschen Gesellschaft für Photographie“ (DGPh). Nach einem ganz der Fotografie gewidmeten Leben verstarb Liselotte Strelow am 30. September 1981 73-jährig in Hamburg.

Quellennachweis:
Die Fotos wurden dem Band entnommen:
„Liselotte Strelow. Retrospektive 1908-1981“, hrsg. von Klaus Honnef u. a. Ostfildern 2008.

Wir danken Herrn Professor Klaus Honnef und Frau Gabriele Honnef-Harling ganz herzlich für die Abdruckrechte.
© Frauen-Kultur-Archiv Düsseldorf

Zu Grunde gelegte Literatur:
Honnef, Klaus (Red.): Liselotte Strelow. Portraits 1933-1972 (Ausstellungskatalog, Rheinisches Landesmuseum Bonn 1977). Köln 1977.
Honnef, Klaus; Teuber, Adelheid, u.a.: Liselotte Strelow. Retrospektive 1908-1981. Ausstellung des Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Landesmuseum Bonn. Ostfildern 2008.
Meiszies, Winrich (Hrsg.): SzenenWechsel. Von Gründgens bis Badora – Fünf Jahrzehnte Düsseldorfer Schauspielhaus im Objektiv dreier Fotografinnen. Ausstellungskatalog Theatermuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf, Dumont-Lindemann-Archiv. Düsseldorf 2001.
Strelow, Liselotte: Das manipulierte Menschenbildnis oder Die Kunst, fotogen zu sein. Düsseldorf 1961.