Yvonne Friedrichs Textforum

Nicht mehr gesetzlos!

Anläßlich des Aachener Denkmälerverzeichnisses

„Der elitäre Denkmalbegriff gehört der Vergangenheit an. Wir wollen vielmehr auch Bauzeugnisse ins Blickfeld rücken, die in ihrem architektonischen Zusammenhang das Gesicht und den Charakter der Stadt prägen.“ Dies erklärte der Landeskonservator Rheinland, Prof. Dr. Günther Borchers, bei der Übergabe des im Auftrag des Kultusministers und des Landschaftsverbandes herausgegebenen „Denkmälerverzeichnisses Aachen Innenstadt“ an den Aachener Oberstadtdirektor Dr. Heiner Berger, über die wir kurz berichteten. Nicht nur die hervorragende architektonische Einzelleistung wird also darin berücksichtigt, sondern vor allem auch die Masse der erhaltenswerten Wohnhäuser, denn – so wurde argumentiert: die selektierende Methode, wie sie einst von Clemen in seiner Denkmäler-Dokumentation angewendet wurde, war für viele heute unwiederbringliche Objekte „tödlich“.

Auch das dem Aachener Denkmälerverzeichnis beigegebene, schon 1976 erschienene „Arbeitsheft 11“ des Landeskonservators über „Das Frankenberger Viertel in Aachen“, das auf einer Dissertation von Peter Ruhnau basiert, wird wohl jeden von der Notwendigkeit einer solchen Konzeption überzeugen. Die hier detailliert dokumentierten, fast geschlossen erhaltenen Straßenzeilen aus der Gründerzeit und dem beginnenden Jugendstil sind im einzelnen und als Ensemble von hohem kulturhistorischem Wert. Die vielfältige Ornamentik dieser Fassaden steht in phantasievollem Kontrast zur langweiligen Öde der städtischen Gegenwartsarchitektur.

„Das Denkmälerverzeichnis ist die amtliche Auskunft des Landeskonservators, was als Denkmal anzusehen ist, an dessen Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht. Es gibt eine topographische Übersicht über den denkmalwerten Bestand des Landesteils Rheinland und dient als Grundlage für denkmalspflegerische Gutachten zu Planmaßnahmen, Sanierungen und Bauvorhaben“, heißt es eingehend in dem neuen Aachener Denkmälerverzeichnis Innenstadt, dem in wenigen Wochen die Herausgabe des zweiten Bandes über die Denkmäler der Aachener Außenbezirke folgen wird. Damit wird Aachen die erste Stadt im Rheinland sein, die das Verzeichnis komplett vorlegt.

Daß in Aachen nicht nur auf dem Papier, sondern auch praktisch die Denkmalspflege in diesem Sinn hoch im Kurs steht, konnte man auf einer für Journalisten organisierten Stadtrundfahrt erkennen. Im Gegensatz zu den „Sanierungs“-Sünden in nicht zu ferner Vergangenheit wurde hier in den letzten Jahren Vorbildliches geleistet in der Erhaltung alter Bausubstanz im zusammenhängenden Straßengefüge. Die „Maßstäblichkeit“ war dabei entscheidend, das heißt, daß man zum Beispiel auch neben einem historisch wertvollen Haus baulich nicht machen kann was man will.

Im Rheinischen Landesdenkmalamt in Bonn arbeitet man auf Hochtouren, um so schnell wie möglich eine „flächendeckende“ Denkmälererfassung für den gesamten Bereich des Rheinischen Landschaftsverbandes zu schaffen, und damit klare Grundlagen und Kriterien für die praktische Denkmalspflege der Kommunen zu erstellen. Trotzdem wird es nach Meinung von Prof. Borchers noch etwa zwölf Jahre dauern, bis alle Verzeichnisse vorliegen.

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn durch das in Nordrhein-Westfalen immer noch fehlende Denkmalsschutzgesetz (sechs von elf Bundesländern haben bereits ein solches Gesetz!) fehlt jede gesetzliche Handhabe, gegen den Willen des Besitzers ein denkmalwürdiges Bauwerk zu erhalten. Ein solches Gesetz würde andererseits das Land verpflichten, gegebenenfalls die Mittel zur Erhaltung zur Verfügung zu stellen.

Das Land hat deshalb, gesondert von den bereits vorher vom Landschaftsverband in Angriff genommenen, für die Öffentlichkeit bestimmten Denkmälerverzeichnissen, die der praktischen denkmalspflegerischen Arbeit dienen, von den Landeskonservatoren Rheinland und Westfalen-Lippe Denkmälerlisten angefordert zur internen ministeriellen Unterlage für ein Denkmalsschutzgesetz. Es hat dafür zusätzlich 1,5 Millionen Mark bewilligt, um die Erfassungsaktion zu beschleunigen, da .- so Prof. Borchers - „jedes weitere ‚gesetzlose’ Jahr eine unverantwortliche Schmälerung des Bau-Erbes bedeutet“.

Angesichts dieser Situation ist es absurd, daß die Vergabe der Mittel zur Denkmalpflege immer noch zweigleisig verläuft. Für 1978 stehen dafür aus Landesmitteln acht Millionen und vom Landschaftsverband Rheinland 4,5 Millionen Mark zur Verfügung. Obwohl die Landschaftsverbandsordnung als Landesgesetz den Landschaftsverbänden die Zuständigkeit für die Erhaltung von Bau- und Bodendenkmälern zugewiesen hat, vergibt das Land seine Mittel unter Umgehung der Selbstverwaltung in eigener Regie.

Der Erlaß des Kultusministeriums vom 5. Januar 1978 hat die Situation noch verschärft, da nach diesem Erlaß auch die Landeskonservatoren als fachliche Gutachter aus dem staatlichen Förderungsverfahren weitgehend hinausgedrängt werden zugunsten der Regierungspräsidenten. Diese müssen an allen Verhandlungen des Landeskonservators für Landesbeihilfen durch ihre Beamten beteiligt sein. Wie schon zuvor der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, forderte deshalb jetzt in Aachen – wie kurz berichtet – auch der Kulturdezernent des Landschaftsverbandes Rheinland, Landesrat Hans Rudolf Hartung, daß die Förderung von Baudenkmälern im Zuge der Funktionalreform neu geordnet werden müsse.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 23. Februar 1978