Yvonne Friedrichs Textforum

Orphischer Harfenist

Yvonne Friedrichs über den Bildhauer Baisch

Es gibt Menschen, deren Lebensweg auch einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können. Der aus Böblingen stammende und in der Nähe von Düsseldorf lebende Rudolf Christian Baisch ist einer von ihnen. Als er 18 Jahre alt war, konnte er sein erstes Patent registrieren lassen. Sein zweites Patent, die Entwicklung eines Mundsperrers für die Zahnarztbehandlung, erwies sich 1935 als so wegweisend, daß er später von den Tantiemen sein Kunststudium finanzieren konnte.

Zahntechniker, Erfinder und Zahnarzt, das waren vielversprechende Stufen einer gewinnbringenden Karriere. Doch Baisch, der eigentlich Flieger werden wollte, stieg aus der Karrierebahn aus und begann 1937 als 34jähriger an der Düsseldorfer Kunstakademie ein Studium, das ihn zu einem anderen erfolgreichen Beruf führen sollte, zum Bildhauer. Das plastische Modellieren als Zahntechniker hat sein Interesse an der freien künstlerischen Plastik entschieden gefördert.

Menschen und immer wieder Tiere forderten ihn zur gestalterischen Arbeit heraus. Aber mit dieser bildnerischen Arbeit waren seine schöpferischen Impulse längst nicht erschöpft; immer wieder zog es ihn auch zur Malerei und Dichtkunst.

Yvonne Friedrichs, Kunstkritikerin unserer Zeitung, hat in dem vorliegenden Band das Bild dieses so vielseitig begabten Mannes anschaulich werden lassen. Sie hat die Distanz, die sonst Künstler und Kritiker trennt, überwunden und sich in die Lebens- und Werkgeschichte des Künstlers versenkt, um sie deren Eigenheiten gemäß und treffend zu erfassen.

Lebendig und einfühlsam zeichnet die Autorin die Stationen dieses abwechslungsreichen Lebens nach und versucht, die künstlerische Natur in der Harmonie mit der sie tragenden Landschaft zu charakterisieren.

Rudolf Christian Baisch gehört zu jenen Künstlern, deren Schaffen als erfolgreich anzusehen ist, auch wenn sie oft im Schatten der großen Namen und Werke blieben. Baisch hat vielerorts unserer Welt seine Zeichen aufgesetzt – in Form von Brunnen und freistehenden Plastiken. Nur in einigen Ausnahmefällen hat er sich der völlig vom Gegenstand gelösten freien Form verschrieben.

Der eigentliche Charakter seines Werkes ist in dem Bemühen zu sehen, gegenständliche Nachschöpfung und Abstraktion miteinander zu verbinden: „Abstraktes ist Wegnehmen der Naturform, Abstreifen des materiellen Kleides, so daß nur der geistige Kern bleibt. Man muß wissen, was man abzieht. Die sinnliche Form darf nicht zu weit weggenommen werden. Einen Hauch von Musik muß man noch spüren wie in meiner Orphischen Harfe. Auch in der Abstraktion geht es darum, den Dingen ihre Poesie und Musik zu lassen.“

Dieses Bekenntnis von Baisch führt mitten in die Gedankenwelt eines Künstlers, der in der höchsten Vollendung eines Kunstwerkes die Annäherung an das Göttliche gegeben sieht.

Das reich illustrierte Buch ist gegliedert in eine Lebensbeschreibung und eine Werkschau, in der die abgebildeten Arbeiten von Baisch erläutert und interpretiert werden. Übersichtliche Tabellen am Ende (Lebensdaten, Ausstellungen, Abbildungen) lassen den Band zu einem guten Nachschlagewerk werden.

DIRK SCHWARZE: Yvonne Friedrichs: „Rudolf Christian Baisch“.
Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen, 158 S.

In: Rheinische Post, Düsseldorfer Feuilleton 30. Mai 1981