Yvonne Friedrichs Textforum

Sonnenblumen flattern

Maler Adolf de Haer, ausgestellt in Kaiserswerth

Heute vor 100 Jahren wurde der Düsseldorfer Maler Adolf de Haer (1892 –1944), einer der bedeutendsten Vertreter des rheinischen Kubo-Expressionismus, geboren. Mit einer verdienstvollen Ausstellung ehrt das 1991 eröffnete „Museum Kaiserswerth“ im Schulgebäude Fliednerstraße 32 den Künstler, der seit 1936 in Kaiserswerth wohnte und arbeitete.

Dort wird auch der Nachlaß von seiner Nichte, Melitta Ficher, betreut, den die Galerie Remmert und Barth erst vor knapp einem Jahrzehnt der Verborgenheit entriß. Ihre 1985 gezeigte Ausstellung mit frühen Arbeiten de Haers war eine kleine Sensation. Die jetzige Schau wird auf Initiative des Heimat- und Bürgervereins veranstaltet. Dessen Vorsitzender Wilhelm Mayer ist zugleich Leiter des privaten Museums Kaiserswerth, das er mit großem Engagement begründete. Er wurde unlängst dafür von der Hans-Maes-Stiftung ausgezeichnet.

Der gebürtige Düsseldorfer Adolf de Haer war schon in jungen Jahren fest entschlossen, Maler zu werden. Sein Rüstzeug erwarb er als Stipendiat an der hiesigen Kunstgewerbeschule (bis 1914), bevor er zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Im Sommer 1917 konnte er einige Monate bei Adolf Hölzel in Stuttgart studieren, um sich bei ihm mit Grundgesetzen von Farbe und Form vertraut zu machen.

1919 gehörte de Haer in Düsseldorf zu den Gründungsmitgliedern des „Jungen Rheinland“ und zum Kreis der Johanna Ey. Er engagierte sich auch im „Aktivistenbund“. Schon 1919 stellte er im „Graphischen Kabinett“ von Dr. Hans Koch aus. Die Städtischen Sammlungen kauften im gleichen Jahr sein Bild „Menschen“ an, einige Jahre später unter anderem auch sein „Damenbildnis“ und ein Porträt seines Malerfreundes Werner Gilles. Gleichzeitig mit seiner Ausstellung im „Ey“ 1921 war er mit Abbildungen im ersten Heft der Zeitschrift „Das junge Rheinland“.

Obwohl de Haer schon Mitte der zwanziger Jahre die kubistisch-expressionistische Abstraktion aufgegeben hatte, gehörte er in der Nazizeit zu den Verfemten. Auch aus dem Düsseldorfer Kunstmuseum wurden Bilder von ihm entfernt. Seine große Zeit – und das wird besonders in dieser Kaiserswerther Ausstellung deutlich, in der auch Arbeiten der dreißiger und vierziger Jahre zu sehen sind – war eindeutig die zwischen 1919 und 1921.

Das Ensemble der drei großen Bilder „Maler und Mädchen“ (1919), „Mädchen mit Blume“ (1919) und „Zwei Sonnenblumen“ (1924) zeigt ihn auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Die straffe kubistische Komposition der beiden figürlichen Gemälde ist doch voller emotionaler Spannkraft. Fast dramatische innere Erregung deutet die grün-gelbe, von Licht durchflutete Hautfarbe des Manns und der beiden Mädchen an. Traumhafte Versunkenheit spricht aus den Farben – blauem Haar, gelbem Kleid, gelber Blüte – des „Mädchens mit der Blume“ vor abstraktem Farbengrund. Von kubistischen Zwängen befreit, flattern dagegen die drei Jahre später entstandenen Sonnenblumenblätter im Bild.

Eine Übergangssituation zwischen Expressionismus und Impressionismus markiert das große Porträt „Cellist Flieger“ (1925). Das „Stilleben mit Tisch und Stuhl“ von 1929 bewahrt die spontane Frische des impulsiven Pinselstrichs und der Farben, ebenso manche impressionistisch wirkenden Blumenstilleben von 1928/29. Charaktervoll, realistisch auch ein Bildnis wie „Frau Heinen (mit Vogelbauer)“ (1928). Schlicht und gesammelt selbst noch das „Selbstbildnis mit Buch“ von 1935 und das Porträt des Bildhauers Fritz Peretti. Doch was dann später kommt an Blumenstilleben und weiblichen Akten, macht verständlich, warum Adolf de Haer in der Versenkung verschwand. Der Schock der Verfemung von 1937 war offenbar zu stark.

Großartig sind aber auch die frühen kubistisch-expressiven Holzschnitte wie etwa das farbig aquarellierte „Mädchen“ von 1919 in seinem herben Lyrismus, das der „Brücke“-Kunst nahe steht, oder „Im Atelier“ von 1920 und „Erhebung“ (1921). Nicht zu vergessen Radierungen und Lithographien, wie „Porträt am Fenster“ (1923) und „Gasse“ (1920) aus dem „Buch Eins des Aktivistenbundes 1919“. Im ganzen sind 70 Arbeiten zu sehen.

Adolf de Haer ist 1944, nachdem er zum Volkssturm eingezogen worden war, in einem Lazarett in Osnabrück an Lungenentzündung gestorben.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 29. Okotber 1992