Yvonne Friedrichs Textforum

Kunst und rauschende Feste

25 Jahre Galerie Hella Nebelung

„Madame Novembre“ heißt eine kleine Hommage in Gedichtform, in der der Maler „Männe“ Hundt auf französisch die Galeristin Hella Nebelung feiert. Sie ist abgedruckt im zweiten Katalog der Galerie von 1947/48, in dem neben den Malern und Bildhauern – die in Kinderporträts präsentiert werden – und ihren Werken auch Lyrik etwa von Emil Barth oder Robert Pudlich (ein Poem auf seinen Spaniel aus den „Gesängen der Gamba“) erscheint. Auf der Titelseite wirbelt Hella, die einstige Ballettänzerin, in dekorativer Tanzpose über die Terrasse ihres ersten Galerie-Domizils, des pompösen Patrizierhauses aus der Kaiserzeit an der Hofgartenstraße 10.

Atmosphärisches, Persönliches, Menschliches spricht aus diesen schon halb vergilbten Blättern. Auch heute in der Galerie im Ratinger Tor wird bei Hella Nebelung Kunst nicht nur „ausgestellt“, sondern in das Leben integriert, weil menschliche Bindungen, Freundschaft und Geselligkeit ihr hier die Impulse geben. Das ist Hellas unverwechselbarer Galeriestil, der dem Düsseldorfer Kunstgeschehen einen sehr persönlichen Akzent verleiht. „Ich habe kein richtiges Privatleben. Das Gesellige liegt mir im Blut“, meint sie, während wir über ihrem riesenformatigen Galeriebuch auf dem Boden knien, dem die Reminiszenzen ihrer ersten zehn Galeriejahre – Kritiken, Photos, Briefe, Ausstellungsverzeichnisse – einverleibt sind.

„Progressive Malerei“ hat Hella schon im August 1947 gezeigt, wie eins ihrer Ausstellungsplakate verkündet. „Progressiv“ waren damals Peter Janssen, Ari Kampf, Oswald Petersen, Bruno Goller, Otto Pankok, Emil Schumacher, Max Ernst. „Bei meiner zweiten Ausstellung im Januar 1946 haben Jugendliche noch meine Plakate mit der Aufschrift „entartete Kunst“ beschmiert“, erzählt die Galeristin. Und 1948 schrieb „Der Spiegel“ in einer Ausstellungskritik: „Unter Düsseldorfs Kulturbeflissenen sind nur wenige, die in Hella Nebelungs Galerie gehen und abstrakte Malerei ansehen. Für die traditionsreiche Kunststadt Düsseldorf ist Abstraktes etwas nicht Alltägliches. Die Düsseldorfer sind mehr auf duftige Landschaften eingestellt.“

Hella Nebelung, die gebürtige Oberschlesierin, die als Ballettänzerin mit der Aurel-von-Milloss-Gruppe über Augsburg 1934 nach Düsseldorf ans Opernhaus kam, gehörte nach Kriegsende zu den ganz wenigen „Galeristen der ersten Stunde“, die, umgeben von Trümmern und Nachkriegselend, der neuen, so lange verpönten Kunst die Wege ebnen half. Animiert dazu wurde sie von ihren Düsseldorfer Künstlerfreunden, mit deren finanzieller und ideeler Hilfe ihr Projekt verwirklichen konnte.

Das romantische Trümmerhaus am Hofgarten mit der großen Terrasse, wo noch lange ihre Ballettschülerinnen übten und Malern und Bildhauern Modell standen, hatte sie auf ihren Streifzügen mit dem Fahrrad als geeignete Bleibe entdeckt. Helmut Hentrich half beim Aufbau. Die erste Vernissage am 22. Dezember 1945 – vor jetzt genau 25 Jahren – war in der damaligen Zeit ein wohl beispielloses „künstlerisches Ereignis“. Im Ausstellungsverzeichnis liest man Namen wie Champion, Arthur Erdle, Goller, Werner Heuser, Heinz May, Neyers, Petersen, Pudlich, Szekessy, Helmut Weitz, Alice Koch-Gierlichs, Schroers.

Das Glück war der mutigen neugebackenen Galeristin von Anfang an gewogen. Mit Charme, Zähigkeit und unverwüstlichem Temperament steuerte sie ihr Galerieschiff auch über die Krisenklippe der Währungsreform. Ausstellungen – schon in den Jahren 1949/50 liest man Namen wie Jawlensky, Schlemmer, Kandinsky, Ida Kerkovius, Rouault, Georg Muche, Werner Heldt – wechselten mit Matineen, Dichterlesungen, Konzerten und – bei Hella unvermeidlich – rauschenden Festen.

„Madame Novembre“ hat ihren Stil bis heute gewahrt. In ihrem zweiten Musenhaus im Ratinger Tor, in das sie 1955 einzog, als das alte Patrizierhaus dem Tausendfüßler weichen mußte, ist es genauso gemütlich wie einst in den „goldenen fünfziger Jahren“, selbst dann, wenn sich hier bei illustren Empfängen die rheinische Prominenz ein Stelldichein gibt.

Künstler der ganzen Welt waren mit ihren Arbeiten bei Hella zu Gast – von der Ecole de Paris über die Kinetik, die sie als erste schon 1963 in Düsseldorf präsentierte, bis zur Pop-Kunst und den Neuen Realisten. Hinter den hohen Stauden und Bäumen am Hofgartenteich wird man auch zum Jubiläumsempfang die Atmosphäre des Hauses mindestens ebenso genießen wie die ausgestellten Werke ihrer alten und neuen Künstlerfreunde.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. 19. Dezember 1970