Yvonne Friedrichs Textforum

Attila Kovács bei Karin Fesel: Mathematik fürs Auge

„Ich plädiere für eine Einheit von Kunst und Wissenschaft, für eine klare synthetische Intelligenz, für Aufklärung und Information anstelle von Subjektivismen und Irrationalismen“. Der in Köln lebende Ungar Attila Kovács (geboren 1938 in Budapest) gehört zu den Künstlern, deren Arbeiten visualisierte Mathematik sind. Daß dies durchaus nicht trocken und gleichförmig-seriell zu sein braucht, sondern in seiner durchschaubaren Logik sogar besondere ästhetische Reize entwickeln kann, ist jetzt bei seiner Ausstellung in der Galerie Karin Fesel (Prinz-Georg-Straße 104) festzustellen.

Kovács, der erst die Ingenieurschule für Bauwesen, dann die Hochschule für Angewandte Kunst in Budapest besuchte, 1963 das Staatsexamen in Philosophie machte, 1964 in die Bundesrepublik kam und dann bei Max Bense in Stuttgart studierte, ist in seinen Arbeiten geistvoller als viele seiner Kollegen aus der konkreten Zunft, auch nobler und trotz aller formalen Reduktion phantasiereicher.

Dabei findet er die geometrischen Strukturen seiner meist auf Schwarz-Weiß- und Grauwerte beschränkten Zeichnungen, objekthaften Bildtafeln und zum Teil mehrteiligen Wand-Installationen nicht analytisch – das heißt durch Teilung der Fläche -, sondern additiv. Dies bedingt, daß seine aus bestimmten Grundelementen fast organisch, doch logisch wachsenden, mathematisch verstehbaren Bildstrukturen sich keiner vorgegebenen Bildfläche anpassen, sondern entsprechend dieser Systematik auch die Bildform und -größe aus sich selbst entwickeln. Sie könnte im Grunde immer weiter wachsen. Zeit, Räumlichkeit, Bewegung werden so erlebbar.

Das Überraschende in diesen „arithmetischen Kompositionen“, wie sie in Ansätzen schon 1930 der holländische „stijl“-Künstler Theo van Doesburg erkundete, sind aber die Bezugssysteme der einzelnen Grundelemente, aber auch mehrerer aufeinander bezogener Bildobjekte.

Sie entwickeln sich, zum Teil in Negativ-Positiv-Kontrasten, linear-geometrisch oder in Flächen über Quadratrastern, die zwar als Modul zugrunde liegen in ihren vergrößerten oder verkleinerten Wandlungen, nach Anzahl und Position aber auch ungerade Zahlenwerte einschließen: Also nicht nur Verdoppelungen, Vervierfachungen in Zahl und Größe der Quadrate, sondern auch Drittelwerte, die sich aber schließlich doch wieder der Quadratordnung einfügen. So ergeben sich rhythmische Spannungen und Impulse. Und man erkennt, daß auch reine Geometrie und Mathematik voller Abenteuer und Sensibilität sein können.

Besonders fein ist das neueste, monochrom weiße Viertafelbild. In den vier in Format und Umrißform wechselnden Tafeln verändern sich die Quadratmodule von 18 x 18, 17 x 17, 16 x 16, 15 x 15 bis 14 x 14 cm, und die Zwischenräume zwischen den einzelnen Tafeln werden entsprechend mit einbezogen. Die zeichnerisch-malerische Ausführung aller Arbeiten ist sehr pur und subtil. Eine über Spanplatten gespannte Leinwand wird mit etwa 40 Lagen weißer Acrylfarbe und den sauber gezogenen Linien makellos mit Hilfe eines Rapidographen bemalt. Jede Unregelmäßigkeit würde die Reinheit des Eindrucks stören. Auch feine, frühere Zeichnungen auf Millimeterpapier kann man bestaunen, darunter solche mit fortlaufenden Kreissegmenten, die Räumlichkeit suggerieren. Alle Entwürfe wurden auch ausgeführt. Die Variationsmöglichkeiten werden offensichtlich zunehmend noch differenzierter.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Feuilleton, 10. März 1993