Yvonne Friedrichs Textforum

Das unsichtbare Licht

Adolf Luthers Frühwerk in der Düsseldorfer Kunsthalle

Hat der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Adolf Luther mit der Ausstellung seines Frühwerkes (1942 – 1962) in der Düsseldorfer Kunsthalle einen Gefallen getan? Sein Name verbindet sich mit den optischen Medien, den Hohlspiegeln und „focussierenden Räumen“, den „Indeterminierten Architekturen“, „Sphärischen Objekten“, der „Röhrenstadt“ oder den Laserobjekten; eben mit der von der Materie losgelösten, in Form gebrachten, optisch erfahrbaren Darstellung des an sich unsichtbaren Lichts.

In der Ausstellung „der für mich selbst gemalten“, seit 1947 nie mehr öffentlich gezeigten Bilder wird ein Stück des Hintergrundes der Düsseldorfer Avantgarde-Szene der sechziger Jahre sichtbar. Bei Luther ist es ein zwanzigjähriges, oft verzweifeltes Ringen um künstlerische Identität, das auch in seinem menschlichen Aspekt anrührt. Er hat gern gemalt, und erst als Maler begann sein eigentliches Leben, nach gescheiterten Ansätzen im Architekten-, Verwaltungsbeamten- und Musikerberuf. Zugunsten der Malerei gab der gebürtige Krefelder schließlich 1957 auch die Juristerei und seine Stellung als Richter auf. Die frühesten, auf Alderney entstandenen Aquarelle – Blumenstilleben und Landschaften – zeigen ihn im Bann Dürers und der Impressionisten. Schon damals hat ihn das Sonnenlicht, das durch transparente Blütenblätter schimmerte, zu Reflektionen darüber angeregt, wie man diesem Licht, das ja offensichtlich eine „konkrete Realität“ darstellte – ebenbürtig zu den Dingen – eine Form geben könnte.

Luther wies die auch von den Impressionisten vertretene Ansicht zurück, daß die Realität „Augenschein“ sei. Er unterschied zwischen dem materiellen Festkörper und der fließenden immateriellen Energie des Lichts, die er als solche sichtbar machen wollte. Das gelang Luther erst nach dem Zusammentreffen mit den Künstlern der Düsseldorfer Zéro-Gruppe und im Umfeld der Op-Art-Bewegung der sechziger Jahre, zu deren Hauptvertretern er gehört. Das reflektierende Licht auf den Splittern zerschlagener Glasflaschen ließ ihn dieses transparente Material als das seinen Vorstellungen entsprechende Medium erkennen. Es inspirierte ihn zu seinen „Lichtschleusen“ – zersprungenes Glas zwischen zwei Glasscheiben -, die hier am Schluß der Frühphase seines Werkes stehen.

Dazwischen liegt die bis Ende der fünfziger Jahre ganz auf das Ölbild gerichtete Nachkriegsentwicklung: ein realistisches Stiefel-Stilleben, ein Selbstporträt von 1943, zarttonige Paris-Aquarelle. In den figürlichen, bis zur Farbstruktur reduzierten ungestrafften Gerichtsbildern (1947 - 1951) setzt die zum Kubismus tendierende Abstraktion ein, die auch in den anschließenden acht „malerischen Variationen über eine Gitarre“ stark von Picasso geprägt ist. Man spürt das drängende Suchen des Künstlers – formal und weltanschaulich – in seinen Bildern und ihrer Thematik („Utopische Figur“, 1952, „Das große Denken“, „Zukunft“, „Warten“, „Dynamische Struktur“), im Spannungsfeld zwischen sahnig-weich aufgetragenen Farben und energisch-straffen Strukturen und Konturen.

Diese Arbeiten stehen im Zusammenhang zu Kunst und Künstlern ihrer Zeit, zu Winter, Kandinsky, Nay, Hartung etwa. Über die Gruppe der „Hammerkopfleute“ mit ihrem geradezu bohrenden Ausblick in neue Räume geht die Entwicklung zum Gegenstandslosen. Das mündet 1958 ins konzeptionelle Farbenbild, das mit seinen über den Bildrand in den Raum ausgreifenden Ausschnitten bereits das Sehen und Denken des Betrachters zur Mitarbeit anregt.

Das Licht und sein Verhältnis zur Materie werden aber erst in den sicher von der Zéro-Gruppe beeinflußten Strukturreliefs und den schwarzen, pastosen Reliefbildern ab 1958 angesprochen, die Luther in blitzschneller Geste mit dem breiten Japanmesser aus einer von ihm selbst entwickelten und durch den Starmix gedrehten Masse aus Kreide, schwarzem Pigment und Aceton „modelliert“. Gerade die Licht-Undurchlässigkeit dieses dunklen Stoffs muß den alten Wunsch des Künstlers, das Licht als energetisches Element aus der Materie zu isolieren und als Bild sichtbar zu machen, wieder entflammt haben. Dieser Denkprozeß, der bei Luther schließlich zu den frei im Raum vor den optischen Linsen schwebenden Licht-Bildern führte, scheint bezeichnend für unsere Zeit.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Feuilleton, 26. März 1981