Yvonne Friedrichs Textforum

Wie Wölkchen im Wind

Doppelausstellung Poncar/ Minnich im Kunstverein

Für seine erste Ausstellung als neuer Direktor des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen hat Raimund Stecker das Oberlicht seiner Räume in der Kunsthalle mit weißer Gaze abgeschirmt. In solch gefilterter, wie schwebender Atmosphäre kann die gelungene Doppelschau mit Bildern von Bernd Minnich und Photographien von Jaroslav Poncar ihre Reize ganz entfalten.

Bei beiden Künstlern geht es gleichermaßen um Weite, um Raum, um das Abgehobene, um eine Dimension, in der das Reale, Faßbare zu entgleisen scheint, fast aufgesogen wird eben von diesem Raum, gegen den es sich gerade noch behauptet.

Die Einsamkeit des Menschen zwischen Erde und Himmel empfindet man besonders in den Panorama-Photographien des 1945 in Prag geborenen Jaroslav Poncar aus West- und Ost-Tibet, dem Karakorum, den Himalaya-Gebieten – Ladakh, Nepal – sowie Burma und Südjemen. Bernd Minnichs großformatige Gouachen auf Holz, Papier oder Schaumstoff (1990 – 1992) sind gegenüber solch erhabenem, schweidendem, fast reglos in sich ruhendem Ernst ein heiterer, bewegter Aufschwung, ein Sich-Lösen von irdischen Bindungen und materiellen Zwängen.

Es sind Bilder in lichten, zarten Farben – Rosa-, Gelb-, Orange-, Hellgrün-, Zartblau- und Grautönen, in die sich wie eine Ahnung Gold- und Silberabglanz mischt.

Minnichs wie in Sphärenräumen schwebende lyrische Klangfarben wirken als abstrakte, flüchtige Farb-Erscheinungen und -Bewegungen im weißen Raum, wie Ahnungen oder Erinnerungen. Frühlingshaft wirken sie wie Wölkchen oder Schleier im Wind, wie schöne Träume und Spuren von Glück.

Der gebürtige Hamburger Bernd Minnich (1941) ist nach seinem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Geologie in Hamburg und dem Kunststudium an den Akademien in Braunschweig und Düsseldorf seit 1990 Professor für Freie Malerei an der Kunsthochschule Braunschweig. Er lebt in Düsseldorf.

Jaroslav Poncar ist seit 20 Jahren Professor für Photoingenieurwesen an der Kölner Fachhochschule. Bekannt wurde er nach zahlreichen Expeditionen durch seine Dokumentationen buddhistischer Wandmalereien im Tempel von Alchi (Ladakh), zusammen mit Professor Goeppner, dem ehemaligen Direktor des Museums für Ostasiatische Kunst in Köln. Auf Anregung von Josef Sudek hat er sich seit 1976 der Panorama-Photographie zugewandt und ist seitdem, allen Tücken seiner russischen Panorama-Kamera zum Trotz, immer tiefer in die Feinheiten dieses schwierigen Metiers eingedrungen. Mit seiner hinten mit einem Schlitz sowie mit einer Wasserwaage versehenen Panorama-Kamera kann man ohne Verzerrungen einen optischen Blickwinkel von 120° erfassen. Trotzdem müssen die von links bis rechts scharfen Aufnahmen noch im Labor den letzten Schliff bekommen.

Für die grandiosen, weiten Landschaften Tibets, des Himalaya oder etwa des Jemen ist die Panorama-Photographie das ideale Medium, Poncars Schwarzweiß- und Farbphotographien mit ihren einerseits subtilsten Binnenstrukturen, andererseits dem großartigen Pathos der Landschaft, ihrer matten, weichen Tonigkeit und gleichzeitig dramatischen Helldunkel-Kontrasten sind ein Erlebnis. So lassen die Aufnahmen des Lake Manasarovar, des dunklen, heiligen Sees in West-Tibet, erschauern, die Klarheit auch, die ungeheure Einsamkeit zwischen Himmel und Erde in der Bergwelt im Quellgebiet des Indus in West-Tibet oder der märchenhaft-illusionistische, zwischen Wasser und Land verspiegelt schwebende „Goldene Tempel von Amritsar“. Dann wieder das zwischen wandernden Wolken in dünner Luft über wogende Berggipfel huschende Licht einer Landschaft wie auf einem fernen Planeten einer Landschaft in Tibet oder die Majestät einer Lehmhochhäuserstadt im Südjemen.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 18. März 1993