Yvonne Friedrichs Textforum

Mythen und Monströses

Zyklus Frauen in Sagenwelt und Kunst bei Zimmer

Im Rückblick auf den jeweils mit einem Vortragsabend verbundenen Ausstellungszyklus der Galerie Zimmer (Oberbilker Allee 27) „Frauengestalten aus Mythologie und Kunst in der Malerei der Gegenwart“ darf eine positive Bilanz gezogen werden. Der gute Besuch, der Brückenschlag zwischen Historie und Gegenwart, die künstlerische Anregung durch zeitübergreifende Themen und die Vertiefung der Ansicht durch Einsicht in bemerkenswerten Vorträgen eröffneten fruchtbare Perspektiven. Künstler unserer Zeit haben mythische oder biblische Themen neu erlebt.

Nach den beiden ersten Ausstellungen, die der griechischen Leda und der fernöstlichen Göttin Ushas/ Ratri gewidmet waren, muß nun auch der Bogen zur derzeitigen Schau geschlagen werden: Sigrid Redhardts monumentale Malereicollagen von 1992/93 zum Thema „Die Töchter des Pelias“. Den Vortrag zu diesem Medea-Thema hielt der Direktor des Kunstmuseums, Hans Albert Peters. Es ist die Geschichte von der Zauberin Medea, die ihre Töchter gegen deren Willen anstiftet, ihren Vater Pelias zu ermorden und zu zerstückeln, angeblich, um ihm auf diese Weise unaufhörliche Jugend zu schenken, in Wahrheit aber, um ihn aus Rache zu töten. Die Töchter folgen aus Liebe zum Vater vertrauensvoll dem Rat der Mutter. Gerade dieser Aspekt reizte die Düsseldorfer Künstlerin zur Darstellung.

Zerrissenheit wirkt schon im Herstellungsprozeß des monumentalen Schlüsselbildes, das zunächst für die durch acht Fenster geteilte Wand des „Ballhauses“ konzipiert und entsprechend in acht Teile aufgespalten wurde. Gerissen und geschnitten, auch wieder zusammengeklebt die figurativen Teile der Malereicollage. Die Zerstückelung in Fragmente führt im Bild zu einem neuen Ganzen.

Gewaltig, wie in Stein gehauen, wirken Redhardts malerisch-rhythmisierte Figuren. Ohne Schatten sind sie, auf das Wesentliche reduziert und zeitlos. 15 Zeichnungen führen zu dem 260 x 320 cm großen Gemälde und anderen Bildern des Zyklus hin, in denen zärtlichere, traurig-empfindsame Aspekte der mörderischen Tragödie zum Vorschein kommen.

Vorangegangen waren die der Lilith gewidmete Ausstellung von Tina Juretzek mit einem Vortrag von Gisela Götte vom Clemens-Sels-Museum Neuss und Antonius Höckelmanns Trilogie „Judith und Holofernes“, eingeführt von Siegfried Gohr, ehemaligem Chef des Museums Ludwig.

Die böse Schlange Lilith

Die vor Eva erschaffene Dämonin Lilith, böse Schlange und schwarzgeflügeltes Gegenstück des Teufels – diese vielschichtige Gestalt hat Tina Juretzek in einer ganzen Folge expressiver, zum Teil collagierter Zeichnungen in Tusche und Graphit in flackerndem Helldunkel 1986 dargestellt in einer von Zweifeln gequälten Phase ihres Schaffens: spannungsvoll, zerrissen, abgründig. Flügelwesen sind das voll düsterer Unberechenbarkeit, bedrohlich, auch in tierhafter Körperlichkeit. Selbstquälerisches, Selbstzerstörerisches drückt sich darin aus.

Und die alttestamentarische Judith, die den Assyrerfürsten Holofernes erschlug, um ihr jüdisches Volk zu retten? Höckelmann hat in seinen großen Bleistift- und Tuschzeichnungen, farbigen Wachskreiden und bemalten Reliefs das wild lachende und zugleich todbringende Gesicht der Judith, in dem Schönheit und Monströses, Wildes und Grausames verschmelzen, mit flackerndem Helldunkel gleichsam aus einer Maske entwickelt: Abgründe des Menschen, wie sie sich zu allen Zeiten in ihm verbergen oder ausbrechen können.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 28. April 1993