Yvonne Friedrichs Textforum

Kunst mit geselliger Kultur

Die Galeristin Hella Nebelung wird morgen 70

„Wie lieblich und graziös die kleine Fee Hella Nebelung“ vermerkte anno 1922 ein Kritiker über ihren Auftritt als Solotänzerin in „Wiener Blut“ im Stadttheater Beuthen. Die „kleine Fee“ war damals zehn Jahre alt. Morgen, am 11. Juni, wird sie 70. Gefeiert allerdings wird diesmal erst später, denn aus der Balletteuse von einst ist eine über die Landesgrenzen hinaus bekannte Düsseldorfer Kunsthändlerin geworden, die natürlich auf der Venedig-Biennale und Basler Kunstmesse dabei sein muß.

Charme und Temperament begleiten sie wie immer. Hella Nebelung hat auch als Kunsthändlerin ihren besonderen Stil. Kunst ist für sie ein Medium, Menschen gesellig und in Freundschaft zu vereinen. So hat sie es immer gehalten. Sie ist aufgewachsen in Oberschlesien, in Beuthen, wo sie 1912 geboren wurde, dann in Breslau, wo sie zehn Jahre das Lyzeum – die renommierte von-Zavatzki-Schule – besuchte, doch gleichzeitig schon das Ballettstudio der beiden Schwestern Swedlund.

Mit geselliger Kultur ist „Hella“ groß geworden. Ihr Vater, ein Landgerichtsdirektor, dirigierte die Juristenfeste und dichtete. Mit 18 Jahren ging sie als Tanz-Elevin ans Breslauer Opernhaus, später folgte sie Aurel von Milloss, dem dortigen Solotänzer, ans Stadttheater Augsburg und 1934 nach Düsseldorf, tanzte hier unter Milloss im Corps de ballet des Opernhauses. Ein Jahr letzter tänzerischer Schliff in der Ballettschule des Teatro Reale in Rom; sie wollte Ballettmeisterin werden. Dann kam der Krieg dazwischen: Einzug zur Truppenbetreuung als Solotänzerin in Frankreich und Holland. Kurz vor dem Zusammenbruch kehrte Hella Nebelung über Breslau nach Düsseldorf zurück, „um mit Leib und Seele davonzukommen“.

Ihre Künstlerfreunde – Peter Janssen, Pudlich, Erdle, Pieper, Macketanz, Goller und andere, die fast alle die junge Tänzerin vor dem Krieg porträtiert hatten und in ihrem Ballettstudio an der Prinz-Georg-Straße ihre Tanz-Schülerinnen zeichneten und malten – halfen ihr dabei. So ergab sich wie von selbst der nicht alltägliche Absprung von den Bühnen-Brettern ins Reich der bildenden Kunst.

Aus Trümmern und umgeben von Trümmern baute Hella Nebelung mit Hilfe von Helmut von Hentrich und Sträflingen von der Ulmer Höh das romantisch an der Hofgartenstraße 10 gelegene, kriegszerstörte Patrizierhaus aus der Kaiserzeit wieder auf. Am denkwürdigen 22. Dezember 1945 eröffnete sie hier – als Düsseldorfer Galeristin der ersten Stunde nach Kriegsende – ihre Galerie mit einer Ausstellung „zeitgenössischer Kunst“, die von Werner Heuser, dem kurz darauf ernannten Akademiedirektor, eröffnet wurde.

Sie war ihren Künstlerfreunden gewidmet, darunter Peter Janssen, Oswald Petersen, „Männe“ Hundt, Kurt Neyers, Ari Kampf, Hans Schroers, Heinz May, Helmut Weitz, Artur Buschmann, und für einige von ihnen schon eine Wiedergutmachung für langes Ausstellungsverbot.

Das Plakat ihrer zweiten Ausstellung im Januar 1946 wurde denn auch prompt mit der Aufschrift „entartete Kunst“ beschmiert. „Progressive Malerei“ war im August 1947 in der Galerie Hella Nebelung zu sehen, und im Ausstellungsverzeichnis von 1949/50 erscheinen Namen wie Kandinsky, Jawlensky, Schlemmer, Rouault, Ida Kerkovius, Werner Heldt, Georg Muche.

Doch es gab auch Matinéen, Geselligkeit mit Musik und Literatur, rauschende Karnevalsfeste. Bei Hella hat man nie „nur“ Kunst gesehen, sondern immer auch Menschen getroffen, darunter die rheinische Prominenz.

Das ist noch heute so in dem 1955 bezogenen, nicht minder reizvollen Galerie-Domizil im Ratinger Tor, nachdem die „Trümmervilla“ der neuen Verkehrsplanung weichen mußte. Üppig wuchernder, hoher Bärenklau am Hofgartensee-Ufer vor der Tür, ins Wasser tauchende Kastanienzweige, Platanen, dazwischen Plastiken von Aalf Lechner, Lenk, Hannelore Köhler, Hede Bühl; flackerndes Kaminfeuer am Abend bei den Advents-Kammermusiken, die kleine Küche als Zentrum improvisierter Gastlichkeit, Gespräche in vertrauter Runde – solche Vorstellungen stellen sich ein, wenn man an Hellas Galerie Nebelung denkt.

Hella erzählt, daß sie zur Eröffnungsausstellung im Ratinger Tor September 1955 als erste die monochromen Farbtafeln des Pariser Avantgardisten Yves Klein in Düsseldorf zeigte, daß sie später hier auch erstmals Adolf Luther ausstellte. In Zusammenarbeit mit Denise René in Paris holte sie Op-Artisten wie Soto oder Le Parc in ihre Galerie.

Picasso-Graphik, Handzeichnungen von Bellmer (1965), „Junge deutsche Künstler“ (Brus, Lerche, Oehm, Polke, Seesselberg, Tadeusz, Unger (1968), Sam Francis, Santomaso, Fontana, eine Retrospektive von Albert Gleizes (1970), Tapies, Warhol, Megert, Berhard Heiliger, Filliou, Hede Bühl, junge Realisten – das sind nur einige Stichworte aus ihren Galerieprogrammen: „Meine große Familie“, meint Hella Nebelung, und schenkt die kleinen Gläser voll.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton 10. Juni 1982