Yvonne Friedrichs Textforum

Haus der Jahreszeiten, mit Blüten bedeckt

Ausstellung von Katsuhito Nishikawa bei Fricke

Vorrangig Skulpturen und plastische Arbeiten werden in der einstigen Buchhandlung Fricke (Poststraße 3) gezeigt. Die in Grund- und Aufrissen verschiedenen, von den Schwestern Marion und Roswitha Fricke restaurierten Räume des alten Hauses sind ein inspirierendes Umfeld für die jetzt dort ausgestellten neuen Arbeiten von Katsuhito Nishikawa.

„House of Season“ nennt der Künstler seine Schau. Es ist nicht seine erste in dieser Galerie. Der 1949 in Tokio geborene Japaner kam nach seinem Studium an der dortigen Kaio-Universität 1974 nach Deutschland, studierte erst an der Münchner Kunsthochschule und von 1976 bis 1981 bei Erwin Heerich an der Düsseldorfer Akademie. Seitdem lebt und arbeitet er in Düsseldorf, war 1982 hier Förderpreisträger und hat sich international in Ausstellungen profiliert.

Nishikawas spirituelle Arbeiten strahlen Empfindsames aus. Ihr Verhältnis von abstrakter Form zum Raum ist gelöst, mehr Übergang als Kontrast. „Die Skulptur verschwindet in der Luft, das ist für mich wichtig“, bemerkte Nishikawa.

Das ist in der japanischen Tradition verankert, „nicht von der Religion her“, wie Nishikawa sagt, „doch gefühlsmäßig. Ich mache nur, was ich fühle; wenn ich das vorher gewußt hätte, brauchte ich nicht zu arbeiten. Es ist alles nicht beabsichtigt. Die Kleinigkeiten sind oft wichtiger als die großen Teile.“

Rosetten auf der Wand

Im ersten Raum eine große Wandzeichnung: ein Kreis im Durchmesser von 280 Zentimetern mit 91 Rosetten. Diese hauchzarten Gebilde hat der Künstler mittels Schablonen über Kohlepapier direkt auf die Wand abgerieben, sie dann aber mit Schmirgel abgeschliffen, so daß die konkrete Zeichnung zum Teil verschwand. Durch die Unregelmäßigkeit der Wandoberfläche ist jede der eigentlich identischen Rosetten von der anderen verschieden. Durch die direkte Berührung mit der Wand haben sie einen unmittelbaren, auch vom Betrachter empfundenen Raumbezug jenseits des Dekorativen. Das „Haus of Season“ (Haus der Jahreszeiten) wird temporär verändert. Der Titel des Rosettenkreises („Sardana, Coronille coronata“) spielt auf einen andalusischen Tanz an.

Im zweiten Raum begegnet man einer Installation mit ursprünglich aus 24 verschieden hohen, in drei Reihen und regelmäßigen Abständen aufgestellten abstrakten Skulpturen in Gips und Stahl. Sie sind jetzt, reduziert auf die ungerade Zahl 23, im Kreis auf dem Boden angeordnet und „Atrium“ betitelt. Jede dieser schlanken Skulpturen besteht aus einem in Gips gegossenen, fein profilierten Ständer, in den Nishikawa einen dünnen Stahlstab, ähnlich einem Pflanzenstengel, in eine Vase gesteckt hat, um sie sozusagen im Raum aufzulösen. Während des handwerklichen Arbeitsprozesses abgebrochene Gipsstücke lassen die Skulpturen unregelmäßig erscheinen, wie gewachsen; der Eindruck des Seriellen wird vermieden.

Raum, sich bespiegelnd

Im unteren Raum erreicht dann die Ausstellung ihren Höhepunkt. Hier steht als konzentrierte Architektur eben dieses Raums sein nachgeschaffenes Modell als architektonische Skulptur: mit der flachgewölbten Tonnendecke, dem kreisrunden Loch für die Wendeltreppe im Vorraum, den beiden Fenster-Erkern, Tür und vertikalen Gliederungen der Außenwände, auf denen auch vereinzelt die Rosetten der „Wandzeichnung“ wieder erscheinen.

Das Subtilste an diesem „Haus der Jahreszeiten“ sind aber die auf seinen Boden dicht gestreuten weiß-grünen, schon getrockneten, aber noch duftenden Margeritenblüten, die man von oben, durch Tür und Fenster betrachten kann.

Der reizende, überraschende Anblick weckt vielerlei Assoziationen; etwa von der Natur, die Architektur belebt, vom Zusammenkommen des Gewachsenen und Gebauten, Organischen und Konstruierten, Geometrischen, von den immer neuen, jahreszeitlich veränderten Impulsen, die auch die in diesen Räumen lebenden Menschen und ihr Tun beweglich halten, ja Anregungen zum Selbstschöpferischen geben können. Hier verbindet sich auch ostasiatische geistige Tradition mit westlicher Kunst der Moderne.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 29. Oktober 1992