Yvonne Friedrichs Textforum

Schach zum Riechen

Takako Saito stellt bei Maier-Hahn aus

Die Kunst, zu spielen oder: das Spiel als Kunstwerk – so etwa könnte man das, was jetzt in einer originellen, geistvoll-witzigen, dabei auch poesiereichen Ausstellung in der Galerie Maier-Hahn erstmals in Düsseldorf präsentiert wird, auf einen Nenner bringen. Die Japanerin Takako Saito stellt sich mit ihren „Do-it-yourself-Bildern“, ihren Schachspielen, Objekten und Zeichnungen vor, und sie ist sicher eine Entdeckung in dieser Stadt, in der sie seit drei Jahren wohnt.

Die Menschen das Spielen auf dem Klavier ihrer Phantasie zu lehren, ist sie gekommen. In einem winzigen Zimmer in einem Studentenwohnheim hat sie Unterkunft gefunden, im Heizungskeller arbeitet sie. Einmal in der Woche unterrichtet Takako an der Essener Gesamthochschule Spiele und Spielen, dazu Textilgestaltung (japanische Batik).

In einem kleinen Ort bei Kyoto wurde sie 1929 geboren, als Tochter eines reichen Großgrundbesitzers, dessen Land inzwischen längst aufgeteilt ist. Entscheidend wurde für sie die Begegnung mit Kubo, dessen Kreativitätsbewegung sie sich begeistert anschloß. Sein Ziel: durch Spielen die schöpferischen Kräfte im Menschen zu wecken und dadurch der japanischen Kultur – auch in der Aufgeschlossenheit gegenüber westlichen Strömungen – neue Impulse zu geben. So kam sie zur Kunst. Sie ging 1963 nach New York, traf durch den Japaner Ay-o mit Fluxus-Künstlern zusammen, half George Maciunas bei der Herstellung seiner Fluxus-Multiples und Spiele. Und dann sprudelten die Ideen für eigene Arbeiten und Editionen, die sie auch alle mit außerordentlichem handwerklichem Geschick und echt japanischer Präzision ausführt.

Ab 1963 in Frankreich, wo Takako sich als Au-pair-Hilfe, Kellnerin und Köchin durchschlug, traf sie in Nizza auf Filliou, dem sie die roten Socken strickte für sein damals in der Galerie Schmela ausgestelltes Objekt. In mehreren Ländern Europas und in den USA organisierte Takako Fluxusspiele, in Düsseldorf verlegt sie ihre „noodle-Edition“. Außerdem beobachtete sie Leute in der Straßenbahn und überall.

Was sie da an Markantem, Komischem in Erinnerung behielt, hat sie dann zu Hause – immer ein wenig ins Groteske stilisiert – in verdünnter Ölfarbe ins Bild gebracht: Serien von Porträtköpfen – immer entweder von hinten oder im Profil gesehen – die ganze Wände füllen. Takako hat einen Blick fürs Merkwürdige im Alltäglichen, vom strengen Matronen-Haarknoten bis zum Punk-Hinterkopf. Damit der Betrachter aber selbst seinen Spaß daran hat, kann er dieses Wandtableau aus vielen Einzelköpfen – großen und kleineren – in der Zusammensetzung beliebig verändern und je nach Laune und Temperament kombinieren. Eingebaute Magneten machen’s möglich.

Und dann diese Schachspiele, wie man sie sonst nirgendwo sieht. Wer damit spielt, muß nicht nur seinen Geist anstrengen, sondern die Sinne und mancherlei Empfindungen werden da außerdem angeregt: ein Kreativitätstraining besonders subtiler Art. Bei dem Parfüm-Schachspiel etwa müssen König und Königin, Springer, Bauer und so weiter mit der Nase identifiziert werden, denn statt der üblichen Schachfiguren rücken hier Parfümfläschchen mit sechserlei Düften ins Feld. Beim „Gewürz-Schachspiel“ bestehen die „Figuren“ aus völlig identischen Holzwürfelchen zum Aufmachen. Ob Nelken, Thymian oder Pfeffer – man muß es riechen, wer mit wem zu schlagen ist.

Wer „Geräusch-Schach“ spielen will, muß die Ohren spitzen, denn die Würfel-Figuren, die man vor dem nächsten Zug schütteln muß, um am unterschiedlichen Geräusch zu erkennen, was gemeint ist, sind jeweils mit anderen Teilchen gefüllt – Reiskörnern, Metallspänen und dergleichen. Andere äußerlich identische Spielfiguren unterscheiden sich beim „Gewichts-Schach“ minimal in den Grammen. Besonders hübsch anzusehen ist das „Berg-Schachspiel“. Da müssen nämlich verschieden hohe, handgeschnitzte und –gedrechselte, spitze Holz-„Bäumchen“ im Laufe einer Partie einen Holz-Hügel übersteigen, wenn sie ans Ziel kommen wollen. Zur Vernissage wurde mit Weingläsern, gefüllt mit diversen Spätlesen, und mit Sandwichs Schach gespielt, und jede geschlagene „Figur“ konnte vom Gewinner gegessen oder getrunken werden.

Dies ist eine lustige, amüsante Ausstellung, aber auch eine für Leute mit Antenne für Poesie. Sie werden sich in die bezaubernden Haus-Bücher verlieben: Giebelhäuschen, angefüllt mit eigentümlich feinen „Zeichnungen“. Sie entstanden in Italien, wo Takako in einem selbst erfundenen Verfahren Papierblätter in ein Gemisch aus Wasser, Öl und Stempelfarbe tauchte. Da bildeten sich zartviolette oder schwarze Strukturen wie Stein- oder Blattgeader. Mit Düsseldorfer Wasser ist Takako das nicht gelungen.

Viel gibt es noch zu sehen. Zum Beispiel Kästen mit Treppen darin, über die man schwarzes Vogelfutter streuen kann, das die Stufen hinunterspringt, und mit noch anderen Überraschungen. Oder mancherlei Regenbogenspiele, auch veränderbare Materialreliefs aus Küchengeräten und Werkzeugen. Von der Künstlerin signiert und doch „Do-it-yourself-Kunst“ sind von ihr gezeichnete Transparentpapier-Elemente, die der Betrachter selbst zusammensetzen und auch durch eigene Zeichnungen ergänzen kann: „This is yours.“

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 1. April 1982