Yvonne Friedrichs Textforum

Malerin im Wunderland

Charlotte Strech-Ballot wird 80 Jahre alt

Charlotte Strech-Ballot, die Düsseldorfer Zeichnerin und Graphikerin, wird morgen 80. Kaum zu glauben. Wie hat sie die Jahre so hinter sich gelassen und ist immer dieselbe geblieben? Frau und Künstlerin mit Charme, Herz und Geist. Das hat auch etwas mit Liebe, Phantasie, Traum- und Gedankendeuterei zu tun; mit Zuwendung zu anderen, Wärme, Kinderglück; mit nachdenklichem Witz als Spiel und Wahrheit, Theatereinblick, feingesponnenem Empfindungsnetz. Was alles noch?

Charlotte ist einfach Charlotte. Originell, aber nie laut, nie vordergründig. Sie sagt’s leise. Der Strich dieser Zeichnerin ist subtil, doch oft skurril, doppelbödig, dringt vor bis ins Wesensgeäder. Da ist nichts abgeschrieben, sondern alles Eigenwuchs.

Charlotte Strech-Ballot hat sich niemals ans Rampenlicht gedrängt. Wär’s so, könnte Erlebtes, Erfundenes sich nicht so dicht, so haarfein im Geheimfach ihrer Innenwelt spiegeln. Schmerz und Melancholie sind da verschwistert. Daß viele ihrer Zeichnungen und Graphiken Auftragsarbeiten waren, änderte nichts an dieser immer ernst genommenen, doch so mühelos und leicht wirkenden Vertiefung ins Metier.

Auch die Fäden ihrer Herkunft verknüpfen sich zu einem vielschichtigen Muster. Charlotte Strech wurde am 29. Juni 1916 in Berlin geboren als Tochter eines Bankdirektors und Enkelin einer Schauspielerin und Malerin. Ersten Malunterricht bekam sie 1933 bei Else Marcks, einer Freundin von Renée Sintenis. 17jährig wurde sie an der Staatlichen Kunstakademie in Charlottenburg als Schülerin von Prof. Ludwig Bartning aufgenommen.

Ihre Heirat mit dem Graphiker Günter Strech 1938 war nach dem Studienabschluß Anlaß der Übersiedlung nach Düsseldorf. Angeregt von der Weichsellandschaft in Westpreußen während der Evakuierung im Krieg, begann sie ihre freiberufliche Tätigkeit als Graphikerin und Illustratorin. Für ihren 1940 geborenen Sohn Heiko schrieb und illustrierte Charlotte Strech-Ballot ihr erstes Kinderbuch „Heiko in Sonnenburg“.

Zurück in Düsseldorf 1946, das ihr nun zur ständigen Heimat wurde, illustrierte die Künstlerin 1949 die in Hulda Pankoks „Drei Eulen“-Verlag erschienene Ausgabe von „Alice im Wunderland“. Schon 1947 hatte Gurlitt ihre erste Einzelausstellung im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in der alten Kunsthalle ausgerichtet. Ihre für Zeitungen geschriebenen und illustrierten Kindergeschichten sind auch verschlüsselte Reflexe des eigenen Wesens. Wie etwa, wenn sie sich selbst als Katze in Paris sah.

Auch Wandbilder entstanden für Schulen (so das Gymnasium an der Graf-Recke-Straße) und die Post. Charlotte Strech-Ballot wurde Mitglied der Rheinischen Sezession. 1958 heiratete sie in zweiter Ehe den Düsseldorfer Maler und Bildhauer Hermann Ratjen, der 1971 starb.

Viel Erfolg hatte die Künstlerin auch in den sechziger Jahren mit ihren Illustrationen in den Textheften sowie mit Plakaten für die Deutsche Oper am Rhein in der Ära Juch, als Karl Ruhrberg dort Chefdramaturg war, ebenso für die Arbeitsgemeinschaft kultureller Organisationen unter Hanspeter Krellmann. Die freundschaftliche Zusammenarbeit mit ihm riß auch nicht ab, als Krellmann an die Bayerische Staatsoper München berufen wurde. Charlottes Entwürfe etwa zu „Hoffmanns Erzählungen“, „Daphne“, „Cosi fan tutte“, „Die Liebe zu den drei Orangen“ sind kleine Schätze.

Für ihren Sohn, den Germanisten Heiko Strech, der in Zürich unterrichtet und Mitarbeiter des „Tagesanzeigers“ – wie auch der Rheinischen Post – ist, macht sie Plakate und Kostümentwürfe für seine ambitionierten Schultheater-Aufführungen: zum Beispiel in Frischs „Don Juan oder die Liebe zur Geometrie“, Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“, Wildes „Wir sind noch einmal davongekommen“. Auch für die Düsseldorfer Stadtsparkasse entstanden viele Illustrationen und Plakate.

Charlotte Strech-Ballot beweist, wie subtil und geistvoll „Angewandte Kunst“ sein kann. Sie hat ja gleichzeitig Kafkas „Verwandlung“ illustriert, auch „1001 Nacht“.

Der Bezug zum Surrealen und zum Erkunden der menschlichen Psyche ist unverkennbar. Das konnte man wieder staunend erleben, als Charlotte im Oktober 1994 im Düsseldorfer Stadtmuseum ihre subtilen, in jeder Detailstruktur geistreich belebten Bleistiftzeichnungen der zerbrechlich-abenteuerlichen „Freien Architekturen“ zeigte, ihre Plakate, die ins Rätselhafte vordringenden Porträts.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Feuilleton, 28. Juni 1996