Yvonne Friedrichs Textforum

Als Anatol den Beuys heimfahren wollte

„Mit Haut und Haaren“ aus der Düsseldorfer Szene 1967 – 75 in der Kunsthalle

Ein Auftrieb, ein Menschengewimmel; fast wie einst war das. Viele waren gekommen und freuten sich ganz offensichtlich über ein Wiedersehen mit vielen bei der Eröffnung der Ausstellungen zum 25jährigen Jubiläum der Kunsthalle: der kleinen, aber inhaltsreichen, von Helga Meister engagiert als Rückblick auf die Szene der „Gründerjahre“ 1967 –1975 zusammengestellten Schau „Mit Haut und Haaren“ und der großen Präsentation „Avantgarde & Kampagne“, in der Arbeiten von 40 Künstlern mit Werbung konfrontiert werden.

Trotz der Fülle war aber doch unterschwellig ein wenig Resignation und Enttäuschung zu spüren. Alles ist in diesen beiden ja eigentlich städtischen Ausstellungen Sponsoren zu verdanken. Schon in der Pressekonferenz hatte Jürgen Harten – real und auch im übertragenen Sinn – von der Brüchigkeit und dem dringend notwendigen Umbau des „Kunstbunkers“ gesprochen. Die 25jährige Kontinuität der Vielfalt – sei jetzt einer Verunsicherung gewichen. „Der international stärker gewordenen Kunst sind wir mit dem kleinen Haus, den geringen Mitteln nicht mehr gewachsen.“

„Glücklich verheiratet“

Karl Ruhrberg, der erste Direktor der Kunsthalle, mit der er „sieben glückliche Jahre (einschließlich der Verlobungszeit) verheiratet“ war, hält sie noch immer „für einen unentbehrlichen Fixpunkt auch international“. Was waren das doch noch für Zeiten in den Endsechzigern, als es vielfach keine Kunst war, Kunst zu machen, weil man eigentlich die Anti-Kunst wollte, und als im Beuys’schen Sinne „jeder ein Künstler war“.

Ideen aber gab’s zuhauf. Die Kunstwerke selbst waren arm, bescheiden: arte povera. Sie verbargen dahinter doch oft ihre politische Brisanz im Wirtschaftswunderland. „Mit Haut und Haaren“ brachte man sich selbst ein. Alles wurde zum Happening. Vielleicht gibt gerade die dichte Enge des Ausstellungsraums den vielen Relikten jener Zeit wieder mehr Präsenz. Vieles haben damals ja immer nur wenige miterlebt. Selbst Insider werden nun so manches entdecken, das sie noch nie sahen.

Katharina Sieverdings 1969 mit dem Photomaton gemachte riesige frontale Selbstporträts reißen suggestiv Zonen zwischen Bewusstem und Unbewusstem auf. In den beiden bemalten Gipsbüsten im Kasten von ihr selbst und Imi Knoebel erscheinen Beziehungen: zugleich maskenhaft erstarrt zu sein und sich doch in der Suche nach Identität zu finden.

Sich selbst mit der Photographin Monika Baumgartl stellte auch Klaus Rinke in der Aktion „masculin-feminin“ auf der Tokio-Biennale 1970 aus als Personifikation eines Grundprinzips allen Lebens. Ausgeburten von Angstträumen gleichen oft Günter Weselers Atemobjekte aus Fell, wenn sie in Käfige eingesperrt sind, die ihren Lebens- und Atemraum beengen oder sie vielleicht auch schützen.

Sind es festgenagelte Ängste, die Günther Uecker zeigt, wenn er sich unter eine mit Nägeln gespickte Schreibmaschine stellt? Der einst aus der DDR übergewechselte Künstler stellt auch seine „Kleine Revolution 1948 – 1948“ vor: einen Käfig, in dem Hammer, Sichel und roter Stern maschinell angetrieben rotieren.

An einem mit Illustrierten bedeckten weißen Stuhl Ferdinand Kriwets „Walk-Talk“-Läufer und „Sehtexte“ verwirren als neuartige Seh-Schule, und Marcel Broodthaers, der in seinen fiktiven „Museen“ Kunst und Kultur in Frage stellt, schnitt aus einem Hundertmarkschein den Adler aus, um ihn als Symbol des Geistes über den Mammon triumphieren zu lassen.

Handfester, greifbarer sind Anatols „Arbeitszeiten“, in denen er beispielsweise den Einbaum machte, mit dem er 1972 seinen von der Akademie vertriebenen Lehrer Joseph Beuys über den Rhein wieder dorthin zurückbringen wollte.

Die rote Rose im Wasserglas war das Wahrzeichen von Beuys, als er 1972 auf der „documenta“ in Kassel über „direkte Demokratie“ debattierte und die „1 a gebratene Fischgräte“, das „Freitagsobjekt“, das der „Magier“ jener Zeit 1970 in der legendären Eat-Art-Galerie von Daniel Spoerri am Burgplatz ablieferte, mögen hier knapp den Radius seiner Arbeit vor und nach der Gründung seiner „Deutschen Studentenpartei“ abstecken.

Der „Lidl-Klotz“, mit dem sein Schüler Jörg Immendorff im Januar 1968 vor dem Bundestagsgebäude demonstrierte als Inbegriff für die Proteste und Feste vor und in der Kunstakademie; Klaus Staecks bissige aggressive Plakat-„Anschläge“, Hans Peter Alvermanns süffisante Polit-„Schweinchen“ gehören zu den Scharfmachern der Schau.

Scheren in den Wolken

Doch welch magrittescher Witz in Robin Pages „Skyssors“: einer Schere, die in Vogelfedern endet und die Wölkchen im blauen Himmel eher streichelt als zerschneidet. Welch kindlich-raffinierter, erotischer Charme in den Bildern von Dorothy Iannone, die in „siebenjähriger Umarmung“ mit dem Schokolade-Künstler Dieter Roth verbunden war.

Eine Rarität Fritz Schweglers „Ratat“-Koffer. Herrlich dieser „Pinselstrich“ aus Kuchenteig und Zuckerguß, ein Eat-Art-Objekt, in dem sich Roy Lichtenstein selbst über sein weltberühmtes Bild lustig macht. Und nicht zu vergessen Robert Filliou, der früh Gestorbene „Entertainer von Gedanken, der Fluxus-Künstler, Träumer und weiser Spieler und unerschöpfliche Poet“!

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 22. September 1992