Yvonne Friedrichs Textforum

Ungewöhnlicher Blick auf Venedig

Robert Scherer stellt in der „Brücke“ aus / Georges Kobylanskys informelle Gemälde im „Malkasten“

Auf Einladung der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Dante Alighieri in Verbindung mit der Volkshochschule und dem Italienischen Kulturinstitut Köln zeigte der Südtiroler Maler Robert Scherer in der Halle der „Brücke“ eine Ausstellung seiner Zeichnungen, Lithographien, Radierungen, Aquarelle und Gouachen zum Thema „Venedig – Porträt einer Stadt“. Der Künstler (46) stammt aus der Gegend von Bozen und studierte an der Wiener Kunstakademie. 1970 erhielt er den Förderpreis des italienischen Außenministeriums.

Scherer ist stilistisch nicht festgelegt. Er läßt sich auch bei der Wahl der Ausdrucksmittel – Feder, Tusche, Farbstift, Mischtechnik in den Zeichnungen – vom Motiv inspirieren. Man sieht großzügig angelegte Stadtveduten in ungewöhnlichen Perspektiven und Ausschnitten, etwa die „Porta della Carta“ oder eine strenge, durchsichtigzarte Zeichnung in grüner Tusche von San Giorgio und atmosphärische Ansichten der Fassaden-Ornamentik. Es gibt aber auch Figurenzeichnungen. Neben den Architekturen der Vergangenheit, Landschaftsimpressionen und strukturellen Abstraktionen kommt auch eine dynamische Komponente zu Wort: geometrische „Mondvehikel“ und ein astronautischer „Aufbruch ins Jahr 2000“.

Im „Malkasten“ stellt der 1930 in Warschau geborene Maler russischer Abstammung Georges Kobylansky seine mit großer Sorgfalt gemalten Mischtechnik-Bilder aus. Er ist in Kairo aufgewachsen, hat dort Architektur und Malerei studiert und war dann als Baumeister und Chefzeichner einer Werbeagentur tätig. 1966 siedelte er nach Paris über. Seit 1971 lebt er als freier Künstler in Düsseldorf.

Seine Bilder stehen in der Tradition des französischen Informel. Mit breiten Pinsel- und Spachtelzügen erreicht er seine transparenten, durch Helldunkel-Kontraste und Überschneidungen sehr tiefenräumlichen Strukturen. Noch in dieser weitgehenden Abstraktion verleugnen die Formen ihre Anregung durch die Natur nicht – Gräser, Blätter, Wurzeln, die sich in unendlichem Rhythmus miteinander verflechten. Die vegetabilen Gewebe, die meist auf wenige Tonnuancen und -kontraste – vorherrschend Blau, Blau-Rot oder Grün-Gelb – beschränkt sind und sich über die ganze Bildfläche ausbreiten, erscheinen oft wie Artikulationen des einfallenden Lichts. Auch strenge Gitter kommen vor.

YF
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 23. Mai 1974