Yvonne Friedrichs Textforum

Auf leisen Sohlen

Gottfried Wiegand stellt im Kunstmuseum aus

Die Zeichnungen von Gottfried Wiegand haben wenig Entsprechendes in der Gegenwartskunst. Allenfalls könnte man – was das Absurde ihrer Thematik und die Tendenz zum Surrealen betrifft – an Dada erinnert werden. Doch Wiegand ist ein ganz anderes Temperament: Seine eigentümlichen Bilderzählungen ohne Worte enden nicht im Anarchischen, Nihilistischen, sondern in einer von psychischen Spannungen befreiten Gelöstheit und Stille. Dieses ganze Menschen-Leben mit seinen Konflikten und Ungereimtheiten, all den verqueren Dingen, mit Ängsten, Konflikten und Ärgernissen, wird letztlich mit einem schmunzelnden, weisen und auch ein bißchen ironischen Lächeln quittiert, als menschliche Komödie.

Wie oft sind doch gerade die bescheidenen, unauffällig Schaffenden, ganz in ihre Arbeit Vertieften die eigentlichen Künstler und Könner. So auch Gottfried Wiegand, der, 1926 in Leipzig geboren, nach Kriegsende an der Münchner Kunstakademie studierte und seit 1950 in Düsseldorf lebt. 26 Jahre unterrichtete er am Düsseldorfer Werkseminar, dieser leider dem Rationalisierungsdrang geopferten, das Künstlerisch-Schöpferische fördernden Institution, die er seit 1964 leitete. Seit 1980 ist er Professor an der Fachhochschule Köln.

Gottfried Wiegands meist eher kleinformatigen Zeichnungen in Bleistift oder Sepia, die in Düsseldorf 1975 zuerst die Galerie Niepel vorstellte und denen nun das Kunstmuseum in seiner Dependance, Orangeriestraße 6, eine Einzelausstellung widmet, sind sein eigentliches Metier, obwohl er in jüngster Zeit auch Objekte macht. In feinsten Schattierungen und Nuancen, sensiblen Strich- und Flächenstrukturen spürt man noch das langsame Wachsen dieser so merkwürdig doppelbödigen Darstellungen menschlichen Verhaltens.

Mit der größten Selbstverständlichkeit tun die hier auftretenden Personen für den normalen Menschenverstand völlig unsinnige Dinge. Da geht es um Aussicht oder Einsicht in leeren Räumen, deren Wände im Vibrato der Strichgitter durchlässig werden. „Kommunikation von drinnen nach draußen“ heißt ein zauberhaft beschwingtes Blatt, in dem eine leichtfüßige kleine Tennisspielerin in einem kahlen, gefängnisähnlichen Raum mit ihrem Schläger den Ball erhascht, den ihr ein unsichtbarer Partner durchs Fenster zugeworfen hat: imaginäre Kommunikation, Sinnbild zueinanderfliegender Gedanken und Gefühle.

Da zieht einer an den Wänden eines solchen Interieurs entlang eine waagerechte Linie über die andere, eine kleine „Kreiszieherin“ malt in einsamer Landschaft eine immer enger werdende Spirale um sich auf den Boden. Männer üben hingebungsvoll Spiele mit Fischen und Äpfeln. Ein junges Paar tanzt selbstverloren kreisend im Schnee „bis es taut“. Begegnungen ungewöhnlichster, auch scheuester und poetischster Art gibt es da – etwa in der Serie „Englische Gärten“. Eingeklemmte, ausweglose Situationen demonstrieren Menschen mit Leitern.

Ganze Alphabete hat Wiegand von A bis Z mit solchen absurden Handlungen illustriert, die alle Bezug haben auf Zustände menschlicher Psyche. Sie scheinen ganz wirklich und natürlich und sind doch reine Fiktion. Sie sind gegenständlich greifbar und doch in traumhafte Fernen entrückt. Immer wird ein Tun dargestellt, und doch scheint alles in schwebender Stille zu verharren. Dies wird unterstrichen durch oft medaillenähnliche oder kreisrunde Bildformate.

Viele dieser gezeichneten, meist in thematischen Folgen entstandenen Bilder wurden von realen Begebnissen und Erlebnissen angeregt, als Gegenentwurf zum rein zweckgerichteten Verhalten, in dem man unter manchen Zwängen das Vernünftige tut, das sich dann letztlich als höchst sinnlos erweist, während das hier vorgeführte „unsinnige“ Tun zu Harmonie, Gelöstheit und Ruhe führt. Solcher Ambivalenz menschlichen Seins kann man vor den Blättern dieses souveränen Skeptikers und poetischen Ironikers nachsinnen. Das Surreale kommt in ihnen auf leisen Sohlen daher. Man überläßt sich ihm gern, lernt selbst das Lächeln und geht stillvergnügt von dannen.

Zur Ausstellung ist im Verlag Wienand, Köln, ein fein gedrucktes Katalogbuch erschienen mit Abbildungen von fast allen gezeigten Zeichnungen und einem Vorwort von Friedrich W. Heckmanns.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 19. März 1982