Yvonne Friedrichs Textforum

Wirklichkeit hinter der Oberfläche

Die zweite Generation der Wiener Phantastischen Realisten

Die zweite Generation der Wiener Phantastischen Realisten wird in der in Düsseldorf bisher umfangreichsten Ausstellung bei Norbert Blaeser, Königsallee 92a (Stadtsparkassen-Passage), vorgestellt: über 100 Bilder, Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen und Radierungen von Helmut Heuberger, Peter Klitsch, Reny Lohner, Peter Proksch, Kurt Regschek und Werner W. Schulz. Die Preise liegen zwischen 1200 und 30 000 Mark – außer bei der Graphik.

Die vielschichtige, altmeisterliche Technik, das präzise bis ins minuziöse malerische Detail erfaßte, ins gegenständlich-figürliche gebannte Phantastische und Wunderbare, das sich als Gedanke, Emotion, Imagination hinter der Oberfläche des „Wirklichen“ verbirgt, haben diese in den zwanziger und dreißiger Jahren geborenen Künstler von ihren Vorgängern übernommen. Dabei hat man den Eindruck, daß manches unverkrampfter und in der Thematik weniger klischeehaft geworden ist, dafür intelligenter und dem Mystischen zuneigend. Spitzenwerke kommen von Peter Proksch: das geheimnisvolle, das Dualitätsprinzip allen Lebens symbolisierende Gemälde „Die magischen Zwei“, in dem Mann und Frau, Land und Meer, Himmel und Erde, Sonne und Mond spannungsvoll aufeinander bezogen sind. Eine beeindruckende Leistung sind die in dreijähriger Arbeit entstandenen meisterhaften zwölf Radierungen zu dem satirisch-phantastischen Roman „El Criticon“ des spanischen Jesuitenpaters Baltasar Gracian (1584-1659), in denen Lebensweisheit und -einsicht geistvoll reflektiert und anschaulich werden.

Reny Lohners feinfiedrig und faserig in fast tänzerische Rhythmen aufgelösten Märchenlandschaften, über denen große Traumvögel schweben, sind am preziösesten im kleinen Format, wie etwa die in feinsten Farbnuancen irisierende Silberstiftzeichnung einer „Sphinx“ oder das Öl-Tempera-Bild „Vor einem Zelt“.

Kurt Regscheks von einem Tuch überschattete, von durchsichtigen Schleiern und flutendem Ornamentgrund umspielte „Eurydike“ erinnert an Klinger und den Jugendstil. Helmut Heuberger, Doktor der Philosophie und malender Autodidakt, der sich zum „Protest der Stille“ bekennt, baut seine poetischen Traumlandschaften wie Kartenhäuser oder Theaterkulissen auf: Schloßruinen, Muschelhäuser oder blaue Türme auf Klippen.

Mit einem ostasiatischen, von rauschhaften exotischen Farben umlohten Mädchen ist Peter Klitsch vertreten. In märchenfarbige Wellenstrukturen zerlegt Werner Schulz seine verwunschenen Landschaften, die offensichtlich an Hundertwasser orientiert sind.

YVONNE FRIEDRICHS
In: Rheinische Post. Feuilleton, 23. Mai 1974