Annette von Droste-Hülshoff
Gedichte & Kurzvita

Das Wort

Das Wort gleicht dem beschwingten Pfeil,
Und ist es einmal deinem Bogen,
In Tändeln oder Ernst, entflogen,
Erschrecken muß dich seine Eil!

Dem Körnlein gleicht es, deiner Hand
Entschlüpft; wer mag es wiederfinden?
Und dennoch wucherts in den Gründen
Und treibt die Wurzeln durch das Land.

Gleicht dem verlornen Funken, der
Vielleicht erlischt am feuchten Tage,
Vielleicht am milden glimmt im Hage,
Am dürren schwillt zum Flammenmeer.

Und Worte sind es doch die einst
So schwer in deine Schale fallen,
Ist Keins ein nichtiges von Allen,
Um jedes hoffst du oder weinst.

O einen Strahl der Himmelsau,
Mein Gott, dem Zagenden und Blinden!
Wie soll er Ziel und Acker finden?
Wie Lüfte messen und den Tau?

Allmächt’ger, der das Wort geschenkt,
Doch seine Zukunft uns verhalten,
Woll’ selber deiner Gabe walten,
Durch deinen Hauch sei sie gelenkt!

Richte den Pfeil dem Ziele zu,
Nähre das Körnlein schlummertrunken,
Erstick’ ihn oder fach’ den Funken!
Denn was da frommt das weißt nur Du.

(Gedicht aus dem Nachlass. In: A.v.D.-H.: Gedichte,
hrsg. von Bodo Plachta, Winfried Woesler, 1994