Marie Luise Kaschnitz
Gedichte

Rückkehr nach Frankfurt

I
Sage, wie es begann.
Wie sah sie dich an
Aus ihren erloschenen Augen,
Die Stadt?
Und was sagte der Mund,
Dieser zerissene Mund,
Erwachend, was sprach der Mund?
Und wie hörtest du’s klingen
Dir unterm Fuß
Aus den versunkenen Dingen?

Und der Fluß – und der Fluß?

XIII
Gefahr ist der Fluß geworden,
Seine Wasser führen den Rest
Von Sengen und Brennen und Morden,
Krieg und Leichenpest,
Giftige Keime in Schwaden,
Absud von Jammer und Not,
Darf niemand schwimmen und baden,
Er tränke sich den Tod.

Leer ist der Fluß geworden
Nach den Tagen des Zorns,
Still von den schrillen Akkorden
Der Pfeifen und des Horns.
Stromüber fallend und steigend
Umzuckt ihn der Möwen Schrei,
Riesig zieht er und schweigend
Zu meinen Füßen vorbei.

Heiterer schien er mir immer
In der anderen Zeit,
Als er den Lichtschein der Zimmer
Trug wie ein flackerndes Kleid
Und hinschoß unter den Brücken
Und sie rauschend verließ,
Als die Lampen noch glühten
Bei den südlichen Blüten
An der Mauer, die Nizza hieß.

Doch die Wasser kommen von weit her,
Von Tannen und duftendem Heu,
Und durch alles Geschehene seither
Gehen sie schrecklich neu
Und müssen erst alles erfahren
Und sinken lassen zum Grund,
Auch das Haupt mit den Schlangenhaaren
Und dem schreienden Mund.

Und tragen noch lange schwer hin
Der Ufer vergängliches Los,
Und singen es dann in den Meerwind
Und betten es in den Schoß.

XIV
Sahest Du’s: als ich den Blick fand,
Wie er zu blühen begann?
Hörtest Du’s: als mir der Mund sprach,
Wie die Trauer zerrann?

Wir haben so lange nicht geweint.
Laß das Licht uns borgen
Von dem Stern, der morgen
Uns erscheint.

(aus: M.L.K.: Totentanz und Gedichte zur Zeit, 1947)