Getrud Kolmar
Gedichte & Kurzvita

Ich kehre müde heim zu später Stunde

Ich kehre müde heim zu später Stunde.
Die Straßen schimmerlos, verwölkt die Sterne,
Die Nächste weit, gespenstisch nah die Ferne
Und schreckhaft gellend das Gebell der Hunde.

Es sitz ein Haus geduckt am Himmelsgrunde
Im tiefen Bläulichgrau gleich schwarzem Kerne,
Ein goldenes Fenster bei sich als Laterne,
Durchspäht’s die nächtlich engbegrenzte Runde.

Rings Niemandsland an namenlosen Wegen.
So denkt ich denn, daß Deinem Dorf entgegen
Mit meinem Schuh das liebste Mädchen schreitet,

Daß heute die Pascher du beschleichen müßtest
Und, wie du droben dich zum Gange rüstest,
Dein Licht mich schaut, mir zustrebt und mich leitet.

(aus: G.K.: In memoriam, 1918)