Gerda Kaltwasser Textforum

Ich gehe langsam durch die Stadt

27. Oktober 1984

Es muß wohl mit dem gesteigerten Interesse an Stadt- und Heimatgeschichte, mit der Begeisterung für Hausrat aus alter Zeit, kurzum, mit der seit Jahren unvermindert anbrandenden Nostalgie-Welle zu tun haben, daß die Düsseldorfer ihre Stadt entdecken.
Erntete man früher auf die Frage nach der oder jener Kirche, dem oder jenem besichtigungswerten Haus oder Platz meist Schulterzucken, erhielt höchstens auf die Frage nach dem nächsten Altbierausschank erschöpfende Auskunft, so hat sich das inzwischen geändert.
Gut, die Lokale mit dem leckeren Dröpken sind auch noch heute bekannt. Lambertus aber hört häufig auf den Straßen, in der Straßenbahn noch andere Töne. Da erklärt jemand seinem Besuch von auswärts: „Und hier findet ihr Kultur auf jedem Schritt: Opernhaus, Kunsthalle, die neue Landesgalerie. Auch die Andreaskirche ist sehr schön.“ Am Karlplatz schwenkt ein wackerer Düsseldorfer den rechten Zeigearm, um seinem Gast die Maxkirche und Düsseldorfs Antiquitätenviertel auszudeuten. Am Musikpavillon vor dem Carsch-Haus lacht Lambertus’ Journalistenherz, wenn er den Gesprächen der Passanten anhört, daß sie seine Berichte gelesen haben.
Lambertus freut sich, daß die Stadt bei ihren Bewohnern ankommt. Wenn er aber durch die feingemachten Altstadtstraßen mit den hunderten Pollern Marke Gaslaterne und dem in Müsterchen gelegten Pflaster geht, fragt er sich, ob das noch seine Stadt ist. So fein wie heute war die Altstadt noch nie.

Lambertus
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 27. Oktober 1984