Gerda Kaltwasser Textforum

Dichter, Revolutionär & Frauenheld

13.12.1797 – 17.2.1856 Heinrich Heine

Heinrich Heine (geboren vor 200 Jahren) war ein ziemlich pingeliger Zeitgenosse, der sich gern piekfein kleidete und das „Rote Sefchen“ ebenso wie andere Damen seiner Zeit gern küßte. Doch der edle Herr aus Düsseldorf liebte auch den Freiheitskampf der Polen und Griechen und unterstützte den Aufstand der hungernden Weber mit einem Gedicht, das bis heute unter die Haut geht. Heine, der von seiner Heimatstadt lange verschmähte Jude, war ein Anhänger der Französischen Revolution und ihrer Ideale: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Also, genau genommen hatte er mit Euch Brüdern und Schwestern von der Platte ja nicht viel am Hut, dieser Heinrich Heine, dessen 200. Geburtstag die Welt am 13. Dezember 1997 feiert. Er war immer ein ziemlich pingeliger Mensch, wohnte gern nett und zog sich modisch an. Bis zum Schluß natürlich, da lag er nur noch schmerzgekrümmt mit schütterem Bart in Paris in seiner Matratzegruft. Übrigens, wenn ich Euch so liegen sehe auf den vergammelten Bettgestellen in der Kö-Passage, die zur Landskrone hinführt, dann fällt mir immer das Wort von der Matratzengruft ein, mit dem er sein Couchbett in der Pariser Wohnung kennzeichnete.

Aber sonst, nee, also, Leute mit schmutzigen Fingernägeln und die nach Tabak stanken, die mochte er nicht. Überhaupt war er ein ziemlich verquerer Typ, dieser Schriftsteller Heinrich Heine, der eigentlich Harry hieß, nach dem Vornamen eines Englischen Geschäftsfreundes des Vaters, und der seine Kinderzeit in Düsseldorf an der Bolkerstraße verbrachte. Viel später, als er schon in Frankreich lebte und schrieb, weil man seine Gedichte und Artikel in Deutschland und Österreich verboten hatte, der Fürst Metternich, heimlich im Bett seine Sachen las. Und mit den Minderheiten, da hatte er auch so seine Probleme. Den schwulen Schriftstellerkollegen August Graf von Platen hat er öffentlich richtig fertiggemacht und auch mit seinem alten Freund Ludwig Börne, deutscher Jude wie er und Emigrant in Frankreich wie er, ging er noch nach dessen Tod ganz schön gemein um. Andererseits machte er sich bei vielen Politikern seiner Zeit unbeliebt, weil er sich für den Freiheitskampf der Polen und der Griechen einsetzte, nicht mit Lichterketten und so, sondern mit toll geschriebenen Aufsätzen. Und als die fast verhungerten Weber in Schlesien den Aufstand wagten, da schrieb er ein Gedicht, das einem bis heute die Gänsehaut auf den Rücken und die Haare zu Berge treibt.

Für „Die schlesischen Weiber“ allein hat er ein ganzjähriges Fest zum 200. Geburtstag verdient. Vielleicht merkt Ihr jetzt, daß es sich lohnt, etwas mehr über diesen Kerl zu erfahren. Wie gesagt, in der Bolkerstraße wuchs er auf, war er auch zur Welt gekommen. Da gibt es jetzt das Heine-Haus. Unten ist eine Kneipe drin, die heißt „Schnabelewopski“, nach einem Typen, den er erfunden hat. Und weil Schnabelewopski so ein schweres Wort für die Düsseldorfer ist, nennen sie die Kneipe einfach „Schnabel“. Oder vielleicht auch, weil der Heine mit dem von ihm erfundenen Heimatort des Schnabelewopski eigentlich Düsseldorf gemeint hat. Das lohnt sich, zu lesen, viel hat sich nämlich nicht verändert.

Wenn nun einer fragt, warum aus dem kleinen Harry von der Bolkerstraße schließlich der berühmte Dichter Heinrich Heine wurde, so ist das ganz einfach. Der deutsch-jüdische Jurastudent Harry Heine beschloß nämlich, ein wohlbestallter Beamter zu werden. Aber dazu durfte er nicht Jude sein. Aus dem jüdischen Harry wurde ein protestantischer Heinrich. Geholfen hat es ihm nicht. Einmal Jude, immer Jude; das ist wie einmal Berber, immer Berber. Der konvertierte Heinrich mußte statt als beamteter Jurist mit Pensionsanspruch sein Geld als freier Schriftsteller und Journalist verdienen. Mit alle dem Kampf um Honorare und Platz in den Gazetten, der seitdem dazugehört, von dem Ärger mit der Zensur gar nicht zu reden.

Übrigens, wenn in diesem Jahr in der ganzen Welt des 200. Geburtstages unseres Düsseldorfers gedacht wird, dann ist das ein Kompromiß. Kein fauler Kompromiß; denn genau weiß wirklich niemand, im Dezember welchen Jahres er zur Welt gekommen ist. Zu der Zeit gab es noch keine amtliche Geburtsurkunde, nur die Taufregister in den Kirchengemeinden. Und ein kleiner Jude, der wurde ja nicht „getauft“. Er selbst führt uns auch in die Irre, hat sich einmal ein Kind des neuen Jahrhunderts genannt. Da könnte er, wenn man es genau nimmt, frühestens im Dezember 1799 zur Welt gekommen sein. Aber ob er dann so herzergreifend über den Abschied des alten Herrschers von seinem Düsseldorfer Volk hätte berichten können, als die Franzosen 1806 einmarschiert waren? „Der Kurfürst läßt sich bedanken“ lasen die älteren Leute neben dem kleinen Harry von einer Bekanntmachung am Rathaus ab.

Hab’ ich gesagt, die Welt feiert seinen Geburtstag? Das ist nicht gelogen, nicht einmal übertrieben. Ob in Japan, China, Vietnam, ob in Moskau oder New York – wo immer Schüler oder Studenten die deutsche Sprache erlernen, da tun sie es mit Heinrich Heine. Richtig rührend ist das, wenn irgendwo im amerikanischen Mittelwesten so ein langbeiniger Jeanstyp auf einen zukommt, den Unterkiefer knödeln läßt und rausgurgelt: „Du bist uieh einä Blumä“. Oder wenn in einer Karaoke-Bar im Rotlichtviertel der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto um Mitternacht ein japanischer Familienvater im korrekten Anzug, wenn auch mit etwas verrutschter Krawatte zu einem Videofilm vom Rheintal das Bierglas hebt und singt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“. Kein Quatsch, das gibt es. Und was noch toller ist: die wissen, daß das Gedicht von Heinrich Heine ist. Bei uns galt es ja in den finsteren 1000 Jahren, als man auch Heines Bücher verbrannt hatte, als „Volksmund“. Hohe Ehre für einen verfemten Dichter, oder? Der Knabe, der das Röslein brach, tat das ja auch nicht als Volksmund sondern als Goethe. Wir haben also allen Grund, unsere(n) Dichter zu ehren. Als Düsseldorfer haben wir das sowieso. Schließlich hat er uns den schönsten Werbespruch gratis geliefert. So hat es jedenfalls mal der frühere Oberstadtdirektor Gerd Högener gesagt. Jeder Werbefuzzi würde heute sonstwas dafür bezahlen: „Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt, und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Muthe.“

Na schön, ihr, die ihr Platte macht und Trebe geht, werdet das ein bißchen anders sehen. Oder auch nicht. Wärt ihr sonst hier? Zeit habt ihr ja auch, Zeit, den Heinrich Heine in Düsseldorf zu entdecken. Muß ja nicht gerade auf dem Nordfriedhof sein, wo ganz versteckt zwischen anderen verwitterten Steinen auch der von Betty Heine, Harry’s geliebtem Mütterlein, zu finden ist. Der hat er ein Gedicht gewidmet, das später hochpolitische Bedeutung für alle die bekam, die an der Entwicklung in Deutschland irgendwas nicht richtig fanden: Nachtgedanken.

Schau’n wir also mal. Vom Heine-Haus an der Bolkerstraße 53 war schon die Rede. Heine kam da übrigens in einem Hinterhaus zur Welt, das schon vor etwa 100 Jahren abgerissen wurde. Wer eine Spürnase hat, geht in die Mata-Hari-Passage rein und findet dann irgendwo hinten in einem Winkel einen Brunnen, da hat mal Heines Geburtshaus gestanden, zu dem, wie der Dichter mal ironisch (oder vielleicht nicht ironisch?) geschrieben hat, grünverschleierte Engländerinnen pilgern würden. Heine, wohin man guckt. Schräg gegenüber, wo heute Schumacher Alt in den Goldenen Kessel lockt, haben die Heines auch mal gewohnt. Da gibt es noch heute eine Gedenkecke mit Dichterbüste, das war einmal das erste und lange Zeit einzige öffentliche Heine-Denkmal in Düsseldorf. Vor dem Ersten Weltkrieg war es von dem Düsseldorfer Dichter Herbert Eulenberg enthüllt worden. Und auch damals drohte die Zensur, drohte der Polizeifinger, und der hatte mit Gelben Rüben gar nichts zu tun (Polizeifinger nannten die Düsseldorfer nämlich das ebenso billige wie gesunde Möhrengemüse). In der Mertensgasse gibt es ein Haus mit einer Tafel, darauf steht „Arche Noah“. Hier lebte der Onkel des kleinen Harry, der hieß Simon de Geldern und war ein richtiger Märchenonkel, mit dessen Büchern und Mitbringseln aus aller Welt Klein-Harry die tollsten Abenteuer erlebte. Ein anderes erlebte er mit dem Roten Sefchen, der rothaarigen Josepha, Tochter des Scharfrichters. Heine war da schon kein richtiges Kind mehr und Sefchen noch etwas älter. Es erzählte schaurige Hinrichtungsgeschichten und zeigte das scharfe Henkerschwert, aber Harry sagte trotzig: „Ich will nicht küssen das blanke Schwert, ich will das Rote Sefchen küssen.“ Später machte er daraus eine revolutionäre Aktion „aus Hohn gegen die alte Gesellschaft und alle dunklen Vorurteile“.

Noch etwas Heine gefällig? Er kannte die alten Geschichten und Sagen der Stadt, etwa die von der armen Jacobe von Baden, die im Schloß umgebracht worden sein sollte (heute wissen wir, daß sie erdrosselt wurde) und seitdem dort spukte. Oder die Geschichte vom Jan-Wellem-Denkmal auf dem Marktplatz, als es dem berühmten Bildhauer Gabriel de Grupello beim Guß an Erz mangelte. Er schickte seinen Gießerjungen in die Bürgerhäuser, um dort silberne Löffel (nein, nicht zu klauen) zu sammeln, damit Roß und Reiter vollendet werden konnten. Im Hofgarten erlebte Harry dann den Einritt Napoleons im November 1811. Für ihn war der Franzosenkaiser ein Befreier, der für die Ideale der Revolution stand: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Heine mußte viele Erfahrungen machen, nicht nur die des übermütigen Rußlanderoberers und Europaverlierers Napoleon, ehe er melancholisch dichtete:

ENFANT PERDU
Verlorner Posten in dem Freiheitskriege,
Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus.
Ich kämpfte ohne Hoffnung, daß ich siege,
Ich wußte, nie komm ich gesund nach Haus.

Ich wachte Tag und Nacht – Ich konnt nicht schlafen,
Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar –
(Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven
Mich wach, wenn ich ein bißchen schlummrig war).

In jenen Nächten hat Langweil ergriffen
Mich oft, auch Furcht – (nur Narren fürchten nichts) –
Sie zu verscheuchen, hab ich dann gepfiffen
Die frechen Reime eines Spottgedichts.

Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme,
Und nahte irgendein verdächtger Gauch,
So schoß ich gut und jagt ihm eine warme,
Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch.
Mitunter freilich mocht es sich ereignen,
Daß solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut
Zu schießen wußte – ach, ich kann’s nicht leugnen –
Die Wunden klaffen – es verströmt mein Blut.

Ein Posten ist vakant! – Die Wunden klaffen –
Der eine fällt, die andern rücken nach –
Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen
Sind nicht gebrochen – Nur mein Herze brach.

Kein Wunder, daß das einzig wahre Düsseldorfer Heinrich-Heine-Denkmal eine gespaltene Totenmaske ist, vom Bildhauer Bert Gerresheim übrigens als „begehbare Gesichtslandschaft“ gedacht. Auf dem Schwanenmarkt wird sie als solche gern zum Plattemachen im Sonnenschein benutzt. Harry hat sicher nichts dagegen, obwohl ihm, da machen wir uns nix vor, grünverschleierte Engländerinnen lieber wären.

Gerda Kaltwasser
In: fiftyfifty. Das Straßenmagazin, 3. Jg. Februar 1997