Gerda Kaltwasser Textforum

„Das Unglück ist ein schlechter Lehrer“

Ausstellung im Heinrich-Heine-Institut. Mit Brecht leben und überleben

Mit einer Matinée besonderer Art wird am Sonntag um 11 Uhr im Heinrich-Heine-Institut an der Bilker Straße die Ausstellung „Bertolt Brecht – Leben und Überleben im 20. Jahrhundert“ eröffnet. Jovita Dermota verspricht unter dem Titel „Die Provokation der Dinge“ ein Literaturprojekt zum 100jährigen Dichter und Provokateur Bertolt Brecht, das weder Lieder- noch Theaterprogramm sein wird.

So ungewöhnlich wie die Eröffnung erscheint die aus Brechts Geburtsstadt Augsburg übernommene Tafelausstellung zunächst nicht. Es sind Bild- und Texttafeln, die der renomierteste Brechtforscher, Dr. Werner Hecht aus Berlin, zusammengestellt hat. „Flachware“ nennt sowas der Ausstellungsmacher, die Ausstellungsmacherin – im Museum des Heine-Instituts ist das Heidemarie Vahl – und fürchtet sich davor.

Auch Brecht kommt uns hier sperrig in langen, gedruckten Kolumnen. Wer sich davon nicht einschüchtern läßt – und das ist zu hoffen, obwohl die Düsseldorfer spätestens seit dem Heine-Jahr 1997 an multimediale Ausstellungsinszenierungen gewöhnt sind – kommt doch auf seine Kosten. Denn die Texttafeln sind aufgelockert durch ungewöhnliches Bildmaterial und ein attraktives Sammelsurium von Fundstücken in den Vitrinen: seltenen Ausgaben, frühen und späten Schallplatten, Briefen, Briefmarken.

Zum Begleitprogramm der Ausstellung, die bis 9. August gezeigt wird, gehört am 26. Mai ein Vortrag von Dr. Hecht, „Brecht von Tag zu Tag“, am 14. Juni eine Matinée mit Musik Hanns Eislers zu Brechttexten, am 9. August Zugespitztes zum Thema von Sigrun Rost und Rolfrafael Schröer.

Beide wurden früh verlassen

Der Ort der Brechtausstellung im Heine-Haus braucht eigentlich keine Rechtfertigung. Parallelen zwischen Heine und Düsseldorf, Brecht und Augsburg lassen sich leicht ziehen. Beide Städte waren nicht immer glücklich mit ihren Söhnen, obwohl die Söhne mit ihnen sehr wohl glücklich waren, und beide wurden früh verlassen. Für Brecht wurde zunächst Berlin, später das Exil in vielen Ländern das, was Paris für Heine war.

Erinnert werden kann auch an etwas anderes: Als in den achtziger Jahren die Royal Shakespearean Company auf einer Studiobühne in Stratford upon Avon Brechts Frühwerk „Baal“ inszenierte, spielte bei den Vorarbeiten ein Buch aus Düsseldorf eine wichtige Rolle, der im Droste Verlag erschienene Bildband „Augsburg so wie es war“, in der Reihe „Städtebilder“, die es auch heute noch gibt.

Professor Dr. Joseph A. Kruse, Leiter des Heine-Instituts, hat sich Gedanken gemacht über das große Interesse, das die toten Dichter bei uns finden, ob Heine, die Droste, Fontane oder Brecht. „Vielleicht“, so Kruse, „finden die Leute in der Gegenwartsliteratur nicht den Trost, den sie suchen.“ Oder, um Brecht von einer der Tafeln zu zitieren: „Das Unglück allein ist ein schlechter Lehrer“.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post., 16. Mai 1998