Gerda Kaltwasser Textforum

Schreiben und Reisen über die Abgründe

Autor Hanns Heinz Ewers

Düsseldorf ist dabei, seine Literaturtradition wiederzuentdecken. Das gilt seit gut zwei Jahrzehnten für Düsseldorfs unbestritten größten Sohn, Heinrich Heine: das gilt für eine fast exotische literarische Blüte - für den Groteskenautor Hermann-Harry Schmitz -, und das gilt für einen Mann, der zu den meistgedruckten deutschsprachigen Autoren unseres Jahrhunderts gehört. Mit seiner Biographie ist eine Liste aus dem „Who is who?“ von Thomas Mann bis Adolf Hitler verbunden; sein berühmtestes Werk, „Alraune“, ist in 25 Sprachen übersetzt und wird noch heute gedruckt: Hanns Heinz Ewers.

Ihm galt die Dissertation des jungen Wissenschaftlers Wilfried Kugel, die soeben, vollkommen überarbeitet und mit Forschungsergebnissen bis ins Jahr 1992 aktualisiert, im Düsseldorfer Grupello Verlag erschienen ist (560 Seiten, reicher Bildteil, 42 Mark). Die Stadt Düsseldorf und das Land Nordrhein-Westfalen leisteten Hilfe.

Hanns Heinz Ewers - das war doch der... Ganz richtig, das war der mit dem Buch über den Hitlerjungen Horst Wessel: der, dessen Buch „Reiter in deutscher Nacht“ über den Widerstand gegen die französische Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg der Autor mit Widmung dem „Führer“ Adolf Hitler geschenkt hatte; der mit Franz von Papen bekannt war und schon vor 1933 Parteigenosse (PG) wurde; der sich als PG zu seinen jüdischen Freunden bekannte und für ein Heine-Denkmal in Düsseldorf einsetzte.

Ein Mann also in seinem Widerspruch, welcher über den Tod fortdauerte, als ihm im Grabstein auf dem Nordfriedhof ein falsches Todesjahr eingemeißelt wurde. Hanns Heinz Ewers, Freund übrigens von Hermann-Harry Schmitz, lebte von 1871 bis 1943.

Erforscher Wilfried Kugel, der gestern, unterstützt vom stellvertretenden Kulturamtsleiter Klaus Lehmann, die Arbeit „Der Unverantwortliche – das Leben des Hanns-Heinz Ewers“ im „Malkasten“ vorstellte, ist in Düsseldorf bekannt. Vor einigen Jahren besorgte er die Wiederherstellung des Ewers-Films „Der Student von Prag“ für das Düsseldorfer Filminstitut. Dabei wurde die Bedeutung des Schriftstellers für die Geschichte der Filmkunst deutlich. Er hatte das erste Buch eigens für den Film geschrieben, hatte Bühnenschauspieler - wie den „Studenten“ Paul Wegener - überzeugt, daß Filmschauspiel eine achtenswerte Kunst sei.

Ein Jahr arbeitete Kugel im Heinrich-Heine-Institut, wo Ewers’ Nachlaß aufbewahrt wird. In ihm finden sich unter anderem Satiren des Schriftstellers auf die Nazis, denen er schon bald zum Horror geworden war. Sie belegten ihn mit Schreib- und Veröffentlichungsverbot bis an sein Lebensende.

Mit dem Ergebnis, daß sein wechsel- und rätselvolles Leben lange unaufgeklärt blieb, sein Werk in Deutschland fast vergessen wurde, während es in Frankreich und den USA bekannt und beliebt ist. Hierzulande freilich steigen inzwischen die Preise für Ewers-Werke im antiquarischen Buchhandel.

Kugels Ewers-Interesse hatte im Berlin der siebziger Jahre auf dem Sperrmüll begonnen, mit einem zerlesenen Band der „Alraune“. Das war die „Alraune“, die in den fünfziger Jahren noch einmal verfilmt worden war mit Hildegard Knef, Erich von Stroheim und Karlheinz Böhm. Kugel las sich fest und las immer mehr, bis aus dem Lesehunger Forschungshunger wurde. Der führte in Archive bis nach Washington, wo des „Führers“ Bibliothek aufbewahrt wird. Und in Berlin kam es zu Kugels aufsehenerregenden Studien über den Reichstagsbrand. Auch der hatte kurioserweise etwas mit Ewers zu tun.

Der Forscher versuchte, die Psyche des Autors zu ergründen, der früh mit Drogen wie Haschisch, Meskalin, später mit Morphium experimentierte; der die Abgründe der menschlichen Seele beschrieb und dabei oft genug selbst über den Abgründen wandelte - von der Sucht bis hin zu phantastischer geheimdienstlicher Tätigkeit im Kaiserreich. Ewers schrieb, er reiste, und das sowohl in wörtlicher wie übertragener Bedeutung.

Düsseldorf kann sich in den kommenden Wochen auf vielfältige Art dem Autor Hanns Heinz Ewers nähern. Seine „Alraune“ wird in neuer Fassung vom „Off-Theater“ auf die Bühne gebracht; Kugel gestaltet eine Ausstellung mit Reprints aus dem Heine-Institut im Literatur-Café der Stadtwerke, die ab 2. November zu sehen sein wird. Dort zeigt auch der Düsseldorfer Graphiker und Holzschneider Wolfgang E. Herbst eine Holzschnitt-Serie, die er auf Anregung der Stadtwerke zur „Alraune“ geschaffen hat. Im kommenden Jahr wird bibliophil die „Alraune“ nachgedruckt, und das ZDF arbeitet an der Fernseh-Fassung eines Texts mit dem Titel „Die Spinne“.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 21. Oktober 1992