Gerda Kaltwasser Textforum

Zugeben, dass wir Komplizen sind

Die in Düsseldorf wohnhafte Schriftstellerin Ingrid Bachér stellte im Heine-Institut ihr neues Buch „Sarajewo 96“ vor. Dem Text in der Eremiten-Presse hat Günther Uecker schwarzweiße „Bildzeichen“ hinzugesellt.

„Vernichtung muss sein. Wenn es dies hier gab in Sarajewo, was der Mann gesehen hatte, dann war es der Zustand, der gewollt wurde, der mit Absicht immer wieder hergestellt wurde.“ Zwei ungeheuerliche Sätze, ungeheuer in ihrer unerbittlichen Konsequenz, in ihrer nur ganz schwach, ganz mutlos abzuleugnenden Wahrheit. Zu finden sind sie gegen Ende eines kleinen Buches, das von seiner Autorin, der 70jährigen Schriftstellerin Ingrid Bachér, im Heine-Institut vorgestellt, vorgelesen wurde.

Bittere Wahrheiten sind das, bitter und wahr auch die schwarz-weißen „Bildzeichen“, die Günther Uecker dazu gesetzt hat. Sachlich und meisterhaft eindeutig sind sie wie der Text ein Kunstschlüssel, genauer gesagt: wohl ein Gedankenschlüssel zum Unbegreiflichen des 11. September und zu vielem, das vielleicht noch kommt? Denn „wir führen fortwährend Krieg, gegen die Natur, gegen das Göttliche, gegen uns selbst“. Und „Terror ist überall, wir müssen es zugeben, müssen zugeben, dass wir Komplizen sind.“

Ein alter Mann und Büchernarr

Die letzten beiden Zitate sind nicht aus dem neuen Buch der Eremiten-Presse „Sarajewo 96“. Die Autorin stellt diese Gedanken ihrer Lesung voran, in der es um das kriegszerstörte Sarajewo geht, in dem sich einmal der Erste Weltkrieg entzündete, das aber auch wegen seiner jüdischen, islamischen und christlichen Bevölkerungsmischung „Klein-Jerusalem“ genannt wurde (eiskalter Schauer beim Gedanken an den fürchterlichen Anschlag wenige Stunden zuvor im großen Jerusalem).

Ein alter Mann und deutscher Bücherwurm schreibt an der Rede zur Eröffnung einer Buchausstellung im Collegium Artisticum. Die Nationalbibliothek mit ihren über 600 000 Büchern ist durch Granaten zerstört worden. Jetzt kommt Lesehilfe aus Deutschland. Taschenbücher meist und „einige Titel so sonderbar, dass er dachte, es seien wohl Remittenden.“ Aber ein bosnischer Bücherfreund sieht das anders: „Lange haben wir auf Hilfe gewartet.“ Für ihn war damit eine Hoffnung erfüllt worden. Zwischen dem im Norden (Westen?) bei „events“ üblichen Smalltalk und dem schieren Bücherhunger in den ganz, halb, manchmal auch gar nicht zerstörten Häusern Sarajewos entwickelt sich bei dem alten Mann aus der Bundesrepublik ein neues, ein anderes Bewusstsein. Nebensächliches bekommt scharfe Konturen. Kriegserfahrung aus dem Zweiten Weltkrieg wird wach. Der alte Mann zweifelt daran, die rechten Worte zu finden.

Er hofft, dass die etliche Jahre jüngere Ehefrau im Hotelbett erwacht, ihm in seiner Ratlosigkeit wenn schon nicht Rat, so doch menschliche Wärme gibt. Aber sie stellt sich schlafend. „Er ist 17 wieder – der niemals verlorene Sohn des eisigen Vaters: Krieg.“

Wo kein Mensch Sorgen hat?

Wer Ingrid Bachérs Erzählung „Assisi verlassen“ (Eremiten-Presse 1993) kennt, findet sich auf einer Brücke zu „Sarajewo 96“, aber die zwar gesellschaftlich begründete, doch weitgehend private Aussichtslosigkeit der Beziehungen in „Assisi“ wird in „Sarajewo“ zur großen Menschheitsfrage, wie Heinrich Heine das wohl genannt hätte. Aber auch die ist von Ingrid Bachér privat angelegt – „wir müssen es zugeben.“

Hausherr Professor Joseph A. Kruse hatte zuvor für die Autorin und ihre zahlreichen Freunde – sie alle wie auch der Verlag Eremiten-Presse Freunde des Hauses, – und für Düsseldorf abseits des Schicki-Micki-Glanzes ein bisschen Literaturglanz reklamiert, Ingrid Bachér weiß, wovon die Rede war. Ein Beitrag von ihr ist zu finden in dem Eremiten-Band „...wo kein Mensch Sorgen hat“, nämlich in Düsseldorf, erschienen zu einer Zeit, nämlich 1991, als der Begriff „Schicki-Micki“ kaum erfunden war.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 4. Dezember 2001