Gerda Kaltwasser Textforum

Goethe

STAATSMANN, VERFÜHRER & DICHTER

Er pflückte das Röslein auf der
Heide, schuf den Faust und ließ
den Götz von Berlichingen der
Deutschen liebstes Schimpfwort
fluchen. Der Dichter aller Dichter,
wie ihn manche nennen,
wurde vor 250 Jahren geboren.
Ein poetischer Rückblick

von Gerda Kaltwasser

Unser Goethe bleibt unser Goethe. Er war es schon 1982, als das geteilte Deutschland unseren Goethe feierte wie in diesem Jahr, 1999, das vereinigte Deutschland. Damals ging es um seinen 150. Todestag, diesmal um seinen 250. Geburtstag. Man muss kein Rechenkünstler sein, um aus der ziemlich dichten zeitlichen Aufeinanderfolge von Todes- und Geburtstag mit dem Unterschied von nur 100 Jahren zu schließen, dass dieser Goethe ziemlich alt geworden sein muss. Nämlich fast 82.

Zu alt – das sagten manche seiner vielen, auch seiner vielen berühmten Zeitgenossen. Doch das soll uns nicht kümmern. Auch nicht die Frage, ob der bürgerliche Staatsbeamte und Dichter mit dem frisch angemessenen Adelstitel denn nun ein Freund oder ein Feind des Volkes und der Volksherrschaft, der heute sogenannten Demokratie, gewesen ist. Und schon gar nicht die Frage nach den bürgerlichen Freiheiten. Also, für sich hat er sie jedenfalls reklamiert. Mal, als er das Röslein auf der Heiden pflückte oder den windigen Faust das naive Gretchen pflücken ließ oder als er der würdigen altadligen Dame von Stein näher trat; wie nahe, das ist bis heute umstritten. So umstritten wie die Frage, ob der Herr Minister von Goethe im Auftrag seines Herzogs Häftlinge als Söldner nach Amerika verkauft hat. Was den jungen Karl Grün, der um 1865 in Paris lebte und schrieb, nicht hinderte, den seit 1832 toten Goethe zum Vorreiter des Kommunismus zu machen. Wenig später wurde dieses Bild allerdings korrigiert und Goethe in der Académie française „gefährlich“ und ein „gräulicher Egoist“ genannt wurde.

Nicht umstritten, unzweideutig jedenfalls ist der Fluch, den er den Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand in eben diesem Jugenddrama schmettern lässt: „Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsch lecken.“ Das ist, obwohl meist ersatzweise mit drei Pünktchen gedruckt, der beliebteste Fluch der Deutschen.

Doch auch deren beliebtestes Gedicht ist von ihm, ist von Johann Wolfgang Goethe:

Über allen Gipfeln ist Ruh,
in allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch;
die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde ruhest du auch.

Schön! Oder etwa nicht?

So schön, dass seit der Niederschrift 1780 immer wieder gewollte oder ungewollte Parodien darauf entstanden sind. Womit wir endlich bei jenem Buch sind, das 1982 zu Goethes 150. Todestag erschienen ist. „Unser Goethe“ heißt es und wurde von Satire-Schreibern und Satire-Zeichnern Eckhard Henscheid und F. W. Bernstein zusammengestellt. Besonders der böse Österreicher Karl Kraus hatte es seinerzeit mit der Ruh über allen Gipfeln. So variierte er in seinem gewaltigen Weltkriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ 1922 das Goethegedicht:

Also über allen Gipfeln ist Ruh,
über allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch.
Der Hindenburg schlafet im Walde,
warte nur balde fällt Warschau auch.

Joachim Ringelnatz hat uns das Abendgebet einer erkälteten „Negerin“ hinterlassen, in dem es heißt:

Drüben im Walde kängt ein Guruh,
warte nur balde kängurst auch du.

Fassung der Autorin 1999:

Über allen Gipfeln ist Ruh.
Dies Gedicht ist ein Renner,
das weiß jeder Penner.
In allen Rohbauten ist Ruh.
In allen Schlafsäcken spürest du
kaum einen Hauch.
Am Abluftschacht
hält dein Kumpel wacht.
Ihm friert der Hintern.
Warte nur, balde erfrierst du auch.

Denn:

Über allen Gruben ist Ruh,
vom alten Garzweiler hörest du
kein Rumpeln im Bauch.
Die Kohlen liegen auf der Halde.
Warte nur, balde wirst Kohle du auch.

Nämlich:

Über allen Berbern ist Ruh,
über allen Pennern spürest du
kaum Alkoholhauch.
Schwarze Sheriffs trainieren im Walde.
Warte nur, balde tauchen sie auf.

Schluss mit lustig. Vergessen wir nicht, dass der Staatsmann, Jurist, Verführer, Familienvater, Dichter, Maler, Naturwissenschaftler (alles gleichzeitig) auch in Düsseldorf gewesen ist, und das gleich zweimal, 1884 und 1792. Gewohnt hat er 1774 im „Prinz von Oranien“, damals renommiertes Gasthaus am Burgplatz Nummer 12. Später, 1792, zog er das gastliche Privathaus der Brüder Jacobi im benachbarten Pempelfort vor.

Denn in Düsseldorf war’s enge,
drum floh aus dem Asylgedränge
1792 Goethe.
Doch er hatte seine Nöte
mit Pempelforts Jacobi.
Er ihn schon 1774 mit Besuch bedachte,
zwischendurch auch mal verlachte,
aber gern ein Prost ausbrachte.
Flasche Rotwein – Stücker zwei,
Flasche Mosel – Stücker drei
täglich trank er.
Er war, oh ihr Berber,
kein Spielverderber.

Gerda Kaltwasser
In: fiftyfifty. Straßenmagazin zur Unterstützung obdachloser Menschen, Mai 1999