Gerda Kaltwasser Textforum

Gisbert Haefs’ gesetzlose Kanalratten

„Hahfs,“ stellte der Herr sich vor. „Fränkisches Dehnungs-E?“ fragte sein Gegenüber zurück. Der Autor Gisbert Haefs bestätigte: „Ja“ und strahlte. Endlich jemand, der den Herrn Haefs nicht Häfs aussprechen würde, der als Rheinländer mit gediegener Halbbildung wusste, dass es in unserer Sprache das fränkische Dehnungs-E oder Dehnungs-I gibt. So kann man mit kleinen Sachen einem ständig falsch angesprochenen Autor aus dem niederrheinischen Wachtendonk eine Freude machen.

Dies ist übrigens so wenig als Kalauer beabsichtigt wie die Sprachwitze, unerwarteten Assoziationen, Anspielungen auf ehrwürdiges abendländisches Standardwissen in Gisbert Haefs’ historischen Romanen von „Hannibal“ über „Troja“ bis „Roma“. Aus diesem seinem neuesten Buch – Untertitel „Der erste Tod des Mark Aurel“ – las er auf Einladung der Droste-Buchhandlung in den Schadow Arkaden. Hier, wie immer bei Haefs, steckt eine gehörige Portion Krimi drin. Die Handlung ist listenreich erfunden, aber die historischen Zutaten sind echt, die Sprache ungeziert auch da, wo gängige vier- und mehr-buchstabige Begriffe umschrieben werden – es kennt sie eh jeder. Aktuelle Bezüge können nach Wissen und Geschmack hergestellt werden.

Wir machen Bekanntschaft mit reichlich Personal aus der Zeit des Kaisers Mark Aurel etwa im Jahr 162 nach Christi Geburt, lernen gesetzlose Kanalratten und anderes Volk aus der stinkenden Unterwelt Roms (später „Les Caves du Vatican“) kennen und erfahren nebenbei, dass Goethes Zauberlehrling schon zu jener Zeit das Wasser nicht halten konnte. Kurzum, wem das Lernen Spaß macht und das Lesen nicht scheut, das Buch ist immerhin fast 500 Seiten stark, der kommt auf seine Kosten.

Auf ihre Kosten kamen auch die Zuhörer. Haefs, der übrigens als Übersetzer von Maupassant und Jorge Luis Borges, von Conan Doyle und Rudyard Kipling einen Namen hat, machte ihnen erst einmal mit seiner frühen Hobby-Detektiv-Figur Balthasar Matzbach in den wilden Jahren der alten Bundeshauptstadt Bonn Appetit. Überdies ist er ein fesselnder Vorleser seiner Werke. Mit den Tücken eines Mikros kann er umgehen und vergisst nicht, einem niesenden Zuhörer ein herzliches „Gesundheit“ zu wünschen. Na dann Mahlzeit, es gibt da in dem Buch ein Rezept...

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 6. März 2002