Gerda Kaltwasser Textforum

Lichtenberg – ein Genie nicht nur der Ironie

Der Siegener Professor Karl Riha: „Sprach- und Schallwerk“ zum 200. Geburtstag im Heine-Institut

Genau an seinem 200. Todestag, am 24. Februar, erlebte eine recht zahlreiche Freundesgemeinde seine virtuelle Auferstehung im Heinrich-Heine-Institut: Georg Christoph Lichtenberg. Der Göttinger Mathematiker, Physiker und Schriftsteller starb in seinem 55. Lebensjahr. Das Heine-Institut war der richtige Ort für eine multimediale Lichtenberg-Performance des Siegener Professors Dr. Karl Riha und seiner jungen Freunde Ingeborg Eberts, Heike Schmidt, Martin Gerke und Walter Pusch – denn in Heines Werk gibt es über 20 Bezüge auf Lichtenberg. Außerdem ist Institutsdirektor Joseph Anton Kruse im Beirat des Freundeskreises Kulturbahnhof Eller, wo gegenwärtig eine Ausstellung über das „Sonntagskind“ Lichtenberg gezeigt wird.

Klein, kränklich, bucklig

Multimedia“? „Sonntagskind“? Weil es zu Lichtenbergs Zeiten den Begriff „multimedia“ noch nicht gab, nennen Riha und seine Truppe ihre Schau ein „Sprach- und Schallwerk“. Wie anschaulich und anhörlich diese deutsche Sprache doch ist. Verschwiegen wird nicht der schwierige Start ins Leben des „Sonntagskindes“. Es war klein, kränklich, bucklig, aus sehr kinderreicher Familie; das war und ist keine Garantie für den Weg ins Glück. Materielles Glück war ihm auch nur in Maßen beschieden. Schon bald nach seinem Tod mußte seine wertvolle Bibliothek mit über 4000 Bänden aus finanziellen Gründen versteigert werden.

Die Geistesfülle des Besitzers dieser 4000 Bücher machte den Abend zu einem wundersamen Erlebnis zwischen schwebender Leichtigkeit und schmerzhaften Magenstichen. Es wurde geschmunzelt, gelacht; es wurde oft zustimmend genickt, ungläubig der Kopf geschüttelt – was, so tolerant konnte einer im 18. Jahrhundert schreiben, ohne mit der Obrigkeit aneinanderzugeraten?

Blitzend Witz und Weisheit

Und diese distanzierte Ironie, diese beinahe britische Selbstironie, diese niemals dröhnend laute Distanz zu Glaubensfragen, die Glauben nicht ausschließt – das war damals schon möglich? Und es wurde in zugespitzte Sätze – sogenannte Aphorismen – gefasst von einem sprachmächtigen Naturwissenschaftler, von einem Genie, das man mit Leonardo vergleichen kann.

Wer „seinen“ Lichtenberg, dessen blitzenden Witz schon kannte, fühlte sich aufs schönste bestätigt; wer erstmals mehr als den Namen kennenlernte, wird bald einen neuen Quell der Weisheit und wehmütigen Lebensfreude entdecken. Was will der Mensch noch mehr? Vielleicht ein bißchen Bösartigkeit für den Alltag?

Auch das gibt es bei Lichtenberg, wenn er etwa am Beispiel von (Schweine-)Schwänzen Johann Kaspar Lavaters Physiognomie-Theorie lächerlich macht oder uns lehrt, wie die Kupferstiche des berühmten Mister Hogarth mit Gewinn zu betrachten sind.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 26. Februar 1999