Gerda Kaltwasser Textforum

Durch Sprache riechen, schmecken,

Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Terézia Mora las im Heine-Institut

Noch keine dreißig ist sie alt, die Trägerin des Ingeborg-Bachmann-Preises: die Ungarin Terézia Mora. Im Heine-Institut bildete ihre Lesung den Abschluß der Reihe „Ungarische Autorinnen und Autoren in Düsseldorf“, an deren Organisation auch das Literaturbüro NRW und die Buchhandlung Rudolf Müller beteiligt waren.

Terézia Mora stammt aus jenem Dreiländereck auf dem Balkan, wo Bürger ungarischer, kroatischer und österreichischer Zunge miteinander leben. Während bei uns die Mehrsprachigkeit trotz aller sogenannten Globalisierung schwindet, ist sie dort noch immer lebendig. Die Ungarin Mora schrieb ihr prämiertes Buch „Seltsame Materie“ in Deutsch. Und in dieser Sprache unterhielt sie sich auch während der Lesung mit dem Publikum; erklärte, weshalb sie bei der Geschichte „STILLE. Mich. NACHT“ den Schluß nicht las – „da falle ich immer in so ein tiefes Loch“, – berichtete bei einer anderen, daß alles erfunden sei, „außer der Sache mit dem Zahnarzt“.

Welch eine Bachmann-Preisträgerin, unbachmannisch sozusagen. Kein Lauschen nach innen, das Leid der Welt wird nicht zum Leiden an sich selbst. Obwohl es Leid genug gibt in dieser Balkanwelt der siebziger und achtziger Jahre, einer Welt, in der jeder Grenzgänger ist, im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Terézia Mora, seit neun Jahren lebt sie in Berlin, inszeniert sich nicht; sie teilt sich ganz selbstverständlich mit.

Das Publikum läßt sich fesseln von Geschichten, die für sich selbst stehen und doch zusammen einen Roman bilden. Wenn sie von Gerüchen schreibt, Gerüchen an Menschen oder vom Essen, dann durchziehen diese Gerüche das Heine-Institut. Und wenn sie eine Festtagsdekoration in einem Gemeinschaftshaus schildert: „Rosa und Orange, wer sich das wieder ausgedacht hat“, dann dreht sich einem bei der bloßen Vorstellung der Magen um.

Und der ungarische Ohrwurm von der Sanduhr, der dieser Geschichte den Namen gab? Den verheerenden Eindruck von Ohrwürmern hat schon jener Schriftsteller beschrieben, dessen Geist durchs Heine-Institut weht – Heinrich Heine; wenn er schildert, welche Wirkung das inflationäre Hören des Liedes vom „Jungfernkranz“ aus Webers „Freischütz“ hat.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post, 8. November 1999