Gerda Kaltwasser Textforum

Auf sich selbst geworfen

Theodor Weißenborns letzter Roman einer Trilogie

Der Schriftsteller Theodor Weißenborn, 1933 in Düsseldorf geboren, liebt verrätselte Titel für seine Romane. Die verbieten sich wohl für philosophische Schriften wie „Aristotelische Logik und Logik der Paradoxie“ oder „Ethos und Konflikt“. Die Nähe des Schriftstellers zu philosophischer Spekulation deutet jedoch, wie auch der letzte Titel seiner Romantrilogie, den Weg des Schriftstellers an. Der Titel lautet „Der Nu oder die Einübung der Abwesenheit“. Da scheint ein philosophischer Roman unausweichlich.

Sammet eines alten Rotweins

Er ist es denn auch mehr als die ersten dieser Trilogie: „Hieronymus im Gehäus“ und „Die Wohltaten des Regens“. Die Einübung der Abwesenheit ist der Überlebensversuch eines herzkranken Musikers, der sich in die Abgeschiedenheit der Cevennen zurückgezogen hat, eine der letzten ursprünglichen Landschaften Westeuropas, wo Frankreich außerdem französischer ist als irgendwo sonst zwischen Korsika und dem Ärmelkanal.

Es ist ein wort- und gedankenreiches Buch, das liegt vielleicht auch an der Landschaft, die den Menschen auf sich selbst (und seinen Hund) zurückwirft. Es dauert lange, und der Leser wird ärgerlich über soviel Wort- und Wissensreichtum und das rein Private, aus dem kein Weg ins allgemein Verbindliche zu führen scheint. Bis er (oder sie) auf einmal feststellt, dort längst angekommen zu sein. Weißenborns Selbstgespräch wirkt zunehmend hypnotisch, dabei durchaus sinnenfroh. Man glaubt, den Sammet eines alten Rotweins, die herbe Haut frisch geknackter, junger Walnüsse zu schmecken, hört fast wie Ohrensausen das ständige Rauschen des Windes, das stundenlange, gleichförmige Strömen des Regens.

Diese Beschreibungen sind so wirklich wie das Leben, wie die dem Bürgerkrieg gefährlich nahen Ereignisse in de Gaulles Frankreich im Mai 1968. Dass vor solcher Kulisse Naturnähe nichts mit Blut und Boden zu tun hat, versteht sich von selbst. Dafür sorgen auch kleine Gemeinheiten, die der Autor einbaut, um den Alltag recht alltäglich, also exemplarisch zu machen: „Polizisten, Ärzte und Schalterbeamte kann man nicht umstimmen.“

Weißenborns Ironie ist nicht demaskierend, seine Selbstironie keine Quälerei, sein Erzählton etwas Wilhelm Meister-lich, auch mal zwischen dem alten Briest und dem jungen Castorp schlingernd. Vom „Nu“-Leser wird also allerhand erwartet. Mit Mathias Claudius kann er es nicht halten: „…und laß’ uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbarn auch.“ Vielmehr läßt ihn dieses Buch tief beunruhigt zurück.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post, 29. Januar 2000