Gerda Kaltwasser Textforum

Hörgeschädigte

Sie sind allein unter Hörenden. Sie finden kaum Berufe. Sie brauchen Geduld und Zuwendung

Es gibt in Düsseldorf sieben Gehörlosenverbände. 670 Gehörlose sind „amtlich erfasst“. 670 Gehörlose sind „amtlich erfasst“. Die tatsächliche Zahl liegt sehr viel höher, da vielfach Eltern lange zu verbergen suchen, daß ihr Kind taub – und damit meist auch stumm – ist. Frühe Förderung aber ist hier, wie bei allen anderen Arten der Behinderung, wichtig. Die Gehörlosen leiden sehr unter ihrer Isolation, sie sind „allein unter Hörenden“, die oft ihre starke Behinderung kaum wahrnehmen, sich über die Konsequenzen nicht klar sind. Vielleicht liegt es daran, daß die Gehörlosen von den „tauben Ohren der Stadtväter“ sprachen, als Vertreter des Stadtverbandes der Gehörlosen ins RP-Pressehaus in Heerdt kamen. Wie wenig sie beachtet werden, zeigt die Tatsache, daß auch bei der vom Sozialamt in der AOK-Zentrale an der Kasernenstraße eingerichteten Behindertenberatung niemand auf Beratung von Gehörlosen eingestellt ist. Bei so wenig Interesse im lokalen bereich wundert es kaum, daß die Gehörlosen auch bundweit wenig Beachtung finden mit ihren Forderungen. Wichtige Forderung, und wahrscheinlich kaum auf Ablehnung durch die Hörenden stoßend, ist die nach schriftlicher Untertitelung der Nachtrichtensendungen im Fernsehen. Dafür findet heute, am Samstag, eine Unterschriftensammlung an einem Informationsstand im Fußgängerbereich Schadowstraße statt.

Die Spatzen streiten sich laut am Futterhaus. In der Kurve kreischen die Bremsen der Straßenbahn. In der kleinen Dorfkirche spielt ein Feriengast die Orgel. Das sind Geräusche, kaum wahrgenommen. Allenfalls das Orgelspiel, wenn ein Könner am Werk ist, lässt aufhorchen. Aufhorchen? Für Gehörlose, speziell für solche, die taub sind von Geburt an, ist dies ein Begriff ohne Bedeutung. Werals normal Hörender sich einmal für kurze Zeit klarmacht, wie stark er von dem abhängig ist, was seine Ohren wahrnehmen und als Information ans Gehirn weitergeben, als lebenswichtige Information oft, der wird erschrecken vor der Vorstellung, nicht hören zu können. Und er wird sich wundern, daß in diesem so strapazierten „Internationalen Jahr der Behinderten“ kaum von Hörgeschädigten die Rede gewesen ist.

Es ist wichtig, über Hilfen nachzusinnen, nicht über Hilfen aus der Technik. Die sind so teuer, daß ein Hörgeschädigter sie sich nicht leisten kann, so zum Beispiel die vor einigen Jahren entwickelten Schreibtelefone oder das Videotextgerät zum Farbfernseher. Das Hörgerät ist nur bei bestimmten Schädigungen des Gehörs wirksam.

„Niemand“, so klagen die Betroffenen, „ist auf unsere Probleme eingestellt. Am Arbeitsplatz entstehen Mißverständnisse, bei Behörden nimmt sich niemand die Zeit, Anordnungen, Vorschriften zu erklären.“ Hinzu kommt bei den meisten eine starke Sprachbehinderung. „Meist werden wir für blöd gehalten, weil wir nicht schnell genug verstehen.“

Obwohl bei Gehörlosen Begabungen und Talente ganz dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechen, stehen ihnen nur wenige Berufe offen, etwa der des Zahntechnikers. Es gibt kaum Aufstiegs-, kaum Weiterbildungsmöglichkeiten. In Düsseldorf ist es bis heute nicht gelungen, wenigstens einen festangestellten Gehörlesendolmetscher oder eine Gehörlosendolmetscherin für die Ämter bereitzustellen. Im Gespräch war einmal der Vorschlag, einen Mitarbeiter des Sozialamtes als Gehörlosendolmetscher ausbilden zu lassen. Aber dafür war kein Geld vorhanden. Es gibt auch in Düsseldorf und schon in vielen anderen Städten, einen Treffpunkt oder ein Informationszentrum für Gehörlose. „Uns wird gesagt, wir sollten uns integrieren. Integrieren Sie sich mal, wenn sie akustisch von der Welt abgeschnitten sind. Zunächst ist es für uns wichtiger, daß wir uns gegenseitig auch fördern können. Es fehlt in Düsseldorf eine höhere Person, die sich für die Gehörlosen einsetzt.“

Hinzu kommt, daß es in der Bundesrepublik die Gebärdensprache, mit der sich Gehörlose verständigen können, lange Zeit als veraltet, unmodern galt, sogar bei Gehörlosen selbst. Alles Heil wurde von der Technik erwartet. Übrigens ganz im Gegensatz zu den so technikbessenen Vereinigten Staaten. In Deutschland können angehende Gehörlosenlehrer diese Gebärdensprache nicht einmal gründlich erlernen. Erst kürzlich wurde in Münster ein Kursus für Sozialarbeiter eingerichtet.

Am Schwierigsten wird es für die Gehörlosen, wenn es um stark abstrakte Begriffe geht, etwa bei Steuererklärungen. Sie können in der Gebärdensprache nicht Wort für Wort übersetzt werden, der Gehörlosendolmetscher muß sie vielmehr selbst vorher begreifen, ehe er sie durch Handzeichen einem Gehörlosen verständlich machen kann.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 12. Dezember 1981