Gerda Kaltwasser Textforum

Geschunden und geliebt: Auf Mallorca sind nicht alle Tiere gleich

Der Begriff Tierschutz ist in Spanien so wenig verbreitet wie der Begriff Umweltschutz, Tier und Umwelt sind nichts, was der Mensch zu schützen hat, sondern etwas, das der Mensch besitzt. Wobei Tier nicht gleich Tier ist. Hunden – vor allem, wenn sie einen Herrn haben – geht es besser als Katzen, Eseln – vor allem, wenn sie einem kleinen Jungen bei der Arbeit helfen – geht es besser als Pferden. Reitpferden wiederum, die einem Caballero das Macho-Bewusstsein stärken, geht es besser als Arbeitspferden. Und den herablassend schnurrenden Rassekatzen der reichen Damen in den städtischen Appartements geht es besser als den Rattenfängerinnen auf dem Fischmarkt. Herr und Hund sind oft Kumpane, die sich gegenseitige Grobheit nicht übelnehmen, Junge und Esel weinen sich gemeinsam aus über ihr hartes Leben.

Aber Tierschutz? Eine Sache dieser komischen Leute aus dem Norden ist das, aus Deutschland und England vor allem. Auch die köstliche Geschichte von dem Pekinesenpärchen, das zueinander nicht kommen konnte, spielte sich in Palma nicht unter einheimischen, sondern unter Residentes, unter ausländischen Dauerbewohnern, ab. Albert Vigoleis Thelen hat die Geschichte in seinem Buch „Die Insel des zweiten Gesichts“ geschrieben. Womit wir auf Mallorca sind.

Stiftung Arche Noah

Sie mögen noch so sehr ihren Regionalismus pflegen, sich noch so sehr in Sprache und Folklore von den Spaniern der Halbinsel unterscheiden – in einem zumindest sind Mallorquiner Spanier: Tierschutz ist ihre Sache nicht, sieht man von jenen Ausnahmen ab, die auch hier die Regel bestätigen. Die „Tierhilfe Mallorca e.V., Stiftung Arche Noah“ ist eine deutsche Angelegenheit mit Sitz in Rüsselsheim. Sie verfügt über eine Basisstation in Andratx, einem alten Städtchen zwischen Valldemossa und Deyà, Stationen für Jungkatzen und Welpen, zwei Tierrettungswagen und Förderer aus dem Schau-Geschäft, etwa Kingsize Dick, Roland Kaiser, Erik Silvester oder der Hobbythek-Tausendsassa Jean Pütz. Vor allem aber über zahllose ungenannte Helfer und Spender, darunter inzwischen eine Menge Einheimische.

Obwohl außer Hunden und Katzen auch Pferde, Esel und Käfigvögel Tierschutz nötig haben (Flugwild ist weitgehend abgeschossen), muss sich die Tierhilfe Mallorca mit ihrer Leiterin Helga Knies auf Hunde und Katzen beschränken. Wenn ein Tier in gute Hände vermittelt werden kann, ist das für alle ein Ereignis. Im übrigen ist Tierschutz hier ein noch härterer Job als in Deutschland. Er läst keine Zeit für Gefühlsduseleien.

Vor allem die Kinder

Der Gedanke, die unbegrenzte Vermehrung von Hunden und Katzen durch operative Eingriffe einzudämmen, ist der Öffentlichkeit nur schwer nahezubringen. Und alle Findigkeit muss auf das Aktivieren von Sponsoren verwendet werden. Um den Tierschutz im Gastland populär zu machen, werden vor allem und mit Erfolg die Kinder angesprochen.

Meist werden die Tiere in unbeschreiblich elendem Zustand gebracht, abgemagert bis auf die Knochen, an Fängen und Läufen verletzt, mit entzündeten Augen, verklebtem Fell. Sie werden hochgepäppelt und fachgerecht tiermedizinisch versorgt. Aber oft bleiben nicht nur äußere Narben, sondern auch Verhaltensstörungen zurück. Mancher treuherzige Hundesohn, manche kuschelige Mieze sind unvermittelbar, weil sie die Kraft nicht mehr haben, dem Menschen zu vertrauen. Für sie werden Patenschaften gesucht, zum Glück auch oft gefunden. Das ist dringend nötig, denn allein im Sommer 1994 suchten mehr als 650 Touristen Hilfe bei der Basisstation in Andratx (Calle Pedro Seriol 22). Nicht auszudenken, dass unter ihnen Leute sein könnten, die selbst ein Tier bei Urlaubsantritt ausgesetzt haben.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post, 30. September 1995