Gerda Kaltwasser Textforum

Vom nackten Hans und anderen Leckereien

Ein alteingesessener Düsseldorfer kommt nach der Spätschicht in ein freundliches Innenstadtrestaurant, bestellt ein Altbier und „‘ne halve Hahn“. Nach 15 Minuten, er hat inzwischen das dritte Bier vor sich stehen, will er sich vorsichtig nach dem Verbleib des Happens erkundigen. Da serviert ihm der Ober mit elegantem Schwung und einem fröhlichen „Guten Appetit“ – ein halbes Hähnchen, frisch und knusprig, mit Schweizer Rösti und gemischtem Salat. Der Ober – ein sehr guter nebenbei bemerkt – war Ostfriese. Und er war erst wenige Tage in Diensten eines Restaurants in Düsseldorf am Rhein. Deshalb ist dieses Erlebnis auch nicht den Friesenwitzen zuzuzählen.

Wer, wenn er nicht gerade hier geboren ist, kann sich vorstellen, daß ein „halver Hahn“ ein Mainzer Käse im laufenden Zustand mit Zwiebeln, Kümmel und einem Röggelchen ist. Die gehackten Zwiebeln, womöglich in einer Essig-Öl-Marinade, werden auch „Musikk“ genannt, mit der Betonung auf der ersten Silbe. Die „Musikk“ findet sich auf den Spezialitätenkarten Düsseldorfer Altbierlokale zum Beispiel zum Schwartenmagen. Einfache Leberwurst mit Musikk hingegen wird „Stockfärv“ genannt. Dabei muß die Leberwurst über Nacht in der Marinade liegen, die noch mit Lorbeerblatt, Nelke, Pfeffer- und Senfkörnern gewürzt wurde.

Aber Stockfärv oder Läwerwooschschlat – Leberwurstsalat – sind auf den Speisekarten kaum mehr zu finden. Wohl der „Näcke Hennes“, der nackte Hans, wenn auch nicht unter dieser Bezeichnung. Das ist nämlich einfache Blutwurst, die sogenannte Blootwoosch oder Flönz mit Zwiebeln, Senf und Röggelchen. Man sieht’s an den wenigen Beispielen, die Düsseldorfer halten etwas von der deftigen Hausmannskost. Einfach und billig, so ist sie von den Vorvätern auf uns gekommen, denn Düsseldorf war nicht immer die von allen beneidete reiche Metropole eines (problem)-reichen Bundeslandes. Als das arme Fischerdorf 1288 zur Stadt erhoben wurde, war damit nicht automatisch Reichtum verbunden. Und auch in den Jahrhunderten später ging es eher eingeschränkt zu in den Bürgerhäusern.

Die Vorliebe für die alten rheinischen Spezialitäten hat sich nicht nur erhalten, sie ist in den letzten Jahren wieder stärker geworden. Viele Gaststätten in der Altstadt, aber auch an der Oststraße, am Wehrhahn und in den Außenbezirken pflegen den Eintopf aus Gemüse, Kartoffeln und Fleisch. Der Rheinische Sauerbraten fehlt auf den wenigsten Speisekarten. Nur die alten Namen, die wurden eingehochdeutscht.

Eigentlich schade. Wer würde nicht gern mal in „Pollezeifenger“, Polizeifinger, beißen. Das klingt nicht so hart wie „Bullen“ und erleichtert doch das Gemüt. Polizeifinger sind Möhren oder gelbe Rüben, mit Kartoffeln, Zwiebeln und Räucherspeck gekocht. Anders die „Schnieder-Courage“, die Schneider-Courage. Da werden die Möhren und Kartoffeln mit weißen Bohnen, Rindfleisch und Speckwürfeln angerichtet. Mit den Möhren hatten’s die Düsseldorfer überhaupt. Beim „Dolle Jacob“ werden die Möhren und weißen Bohnen gesondert gegart, beim Mohrepuspas wird das Fleisch gespart, statt dessen wird der Eintopf aus Möhren, Kartoffeln, weißen Bohnen, mit verschlagenen Eiern und Sahne angereichert. Etwas für starke Esser mit viel körperlicher Bewegung. Ganz schön schlau nach modernen Erkenntnissen der Ernährungswissenschaft war dieses Essen. Möhren sind reich an B-Vitaminen, Karotin; weiße Bohnen enthalten viel Vitamin-C und ersetzten dadurch das für die einfachen Leute nur selten erschwingliche Fleisch.

Heutzutage haben die Gerichte nicht mehr die gemütlichen alten, anzüglichen Namen. Der Eintopf wird nicht Eintopf, sondern Gemüse „bürgerlich“ genannt. Das Stielmus heißt Stielmus, nicht „Zenthötches“ wie in alten Zeiten. Und ein Gastwirt, der noch Panhas zum Sauerkraut serviert, wird Panhas nicht als „Knabbeldanz“ anpreisen. Denn das würden nicht mal Düsseldorfer mehr verstehen.

Wie schön, daß wenigstens der Riefkooke noch Reibekuchen, der Pillekooke noch Pillekuchen heißt, ein „Pfannkuchen“, der aus rohen Kartoffelschnitzen-Eierteig besteht. In die Richtung gehört auch die „Pann Schiewe“, Bratkartoffeln aus dünn geschnittenen rohen Kartoffelscheiben. Hier übrigens, wie auch bei den beliebten Muscheln in den Monaten mit „r“ (September bis Februar) findet der Gast endlich die wahrscheinlich lange gesuchte Verbindung zur französischen Küche. Denn Kartoffelgerichte dieser Art wie auch Muschelspeisen von derb bis delikat finden sich in Frankreichs Provinzen. Und die Düsseldorfer haben sich in ihrem Geschmack immer eher nach Westen denn nach Osten ausgerichtet.

Übrigens – auf dem Weg zum Pillekooke in der Altstadt empfiehlt es sich, als Vorspeise ein Matjesröllchen mit Zwiebeln auf dem Markt zu essen. Danach ist Düsseldorfer Altbier, nach alter Art gebrautes Bier, nicht mehr zu umgehen.

Gerda Kaltwasser
In: Düsseldorf. Das Magazin für Gäste und Freunde der Landeshauptstadt Düsseldorf, 1977, Heft 4, S. 37