Gerda Kaltwasser Textforum

Ein Museum aus Seerosen, Emaille-Ranken und Majolika-Theken

Metzgerladen im Jugendstil

Für jemanden, der mit Begeisterung gute Wurst herstellt, für eine Jemandin, die sich ein Leben ohne den herzlichen Kontakt zu den Kunden nicht vorstellen kann, mit fachlichem Rat zum Bratenstück und zur Wahl des Aufschnitts – für ein eingefleischtes Fleischerehepaar also muss es nicht leicht sein zu verkraften, dass viele Käufer und noch mehr Vorübergehend den Fleischerladen nur betreten, um zu fragen.“ Ist das wirklich echter Jugendstil?“ Oder um zu sagen: „So einen schönen altmodischen Laden hab ich noch nirgendwo gesehen.“

Helene und Peter London von der Lorettostraße sind solche Kunden inzwischen gewöhnt. Vor wenigen Jahren noch kannten sie andere Fragen: „Wollen Sie denn nicht mal modernisieren? Das muss doch schrecklich sein, solche Staubfänger immer sauber halten zu müssen?“ Oder ganz blank: „Wann schaffen Sie endlich das alte Gerümpel weg?“ Das „alte Gerümpel“ ist eine komplette Einrichtung eines Metzgerladens im Jugendstil. Peter Londons Vater Theodor, ein wohlhabender Mann, hat sie 1906 zum Preis von 28 000 Goldmark gekauft und damals um den Preis nicht gefeilscht. Die Einrichtung mit einem Wurst-Gestänge, mit den herrlichsten emaillierten Eisenranken, mit einer Majolika-Theke, mit einer Glas-Kassettendecke, einem unverwüstlichen Plattenfußboden und Wandkacheln im typischen Stil der Zeit hatte zuvor auf der Weltausstellung in Gent (Belgien) 1906 einen ersten Preis gewonnen.

Preiswürdig 1906 – zu preisen 1974. Peter und Helene London, Kinder alteingesessener Düsseldorfer Familien, wissen inzwischen, dass ihr Geschäft das Wert eines Museums hat. Sie wissen auch, wie schnell sich Geschmack und Vorlieben ändern. Peter London, ganz ehrlich, sagt: „Wenn ich einen Sohn hätte, von dem ich wüsste, dass er das Geschäft mal übernehmen wird, ich hätte das alte Zeug schon kurz nach der Währungsreform rausmachen lassen.“

Wer hätte das nicht zu einer Zeit, als Chrom und glatte Fliesen das Gesicht der Geschäfte, vor allem der Lebensmittelgeschäfte, zu formen begannen. Als nur das als sauber und akzeptabel galt, was auch blitzend war wie ein Chirurgenbesteck. Inzwischen blitzt es uns zu sehr, ist alles zu glatt und eintönig. Ein Kachelband mit Seerosenrelief, von keinem Granatsplitter zerstört, darüber ein symmetrisches Rankenmuster, davor das Gestänge mit üppig wucherndem Rankenwerk – daran kann das Auge sich festhalten, daran wird auch etwas deutlich von der Liebe nicht der Gewinnsucht, die einmal bürgerliche Geschäfte zu Treffpunkten der Bürger machte. Liebe zur Natur und zum Detail, aber auch der Stolz zwischen Speck und Blutwurst nicht verwelkende Natur in Großstadteinrichtungen einfügen zu können, das wirkte wohl mit, als Geschäfte in dieser Art eingerichtet wurden. Jugendstil als Stil einer Großstadt-, einer Massengesellschaft: Nirgendwo kann er geschlossener und eindrucksvoller studiert werden als hier an der Lorettostraßen.

Doch was geschieht, wenn die Londons einmal Schluß machen möchten mit der Plackerei? Dr. Irene Markowitz vom Stadtgeschichtlichen Museum hat das Ganze schon neidvoll für ihr Museum in Augenschein genommen. Doch wer kann das bezahlen? Vor allem, wer in Düsseldorf wird die Mittel aufbringen, dieses kunsthistorische Beispiel ohne Beispiel zu erhalten, möglichst sogar in Funktion?

Helene London, die ihren Laden liebt, hat eine Zukunftsvision, die mit ein paar Finanzspritzen Wirklichkeit werden könnte: „Als Schönstes könnte ich mir vorstellen, dass der ganze Laden in ein altes Haus in der Altstadt übernommen würde. Nicht als Museum, sondern als ein feines Aufschnittgeschäft.“ Vergangenheit, die wir lieben, sollte leben.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost. 13. April 1974