Gerda Kaltwasser Textforum

Der Worringer Platz damals und heute – Entwicklungsland mitten in der Stadt

Abstieg von der Kultur- zur Schmuddel-Ecke

Der Worringer Platz – ein Schandfleck; in diesem Urteil sind sich wohl alle einig. Und da der Abstieg in die Kategorie „Schmuddelecke“, hat er einmal begonnen, immer rasanter wird, ist der des Worringer Platzes inzwischen von Tag zu Tag zu beobachten. Geschäfte schließen und öffnen nicht wieder, Schaufenster werden mit Papier verklebt, das nach kurzer Zeit in langen Bahnen abblättert, Aufkleber informieren über den Umzug an eine bessere Adresse. Seit Monaten sind die Räume des leerstehenden ehemaligen „Bauhauses“ nicht zu vermieten, sind Immobilien am Worringer Platz kaum an den Mann oder die Frau zu bringen. Wer erinnert sich noch an glanzvollere Zeiten des Worringer Platzes? Die gab es in den Zwanziger Jahren. Damals hatte sich im weiten Umkreis um den Hauptbahnhof ein lebhaftes Geschäftsleben entwickelt, zwischen Graf-Adolf- und Worringer Straße. Der Worringer Platz erhielt als Wahrzeichen einen Kiosk mit mehreren Geschäften, gekrönt von der Statue des Kiepenkerls, Wahrzeichen einer bekannten Tabakmarke.

Im Zweiten Weltkrieg häuften sich gerade in dieser Gegend die Zerstörungen durch Bomben. Dann aber wurde der Worringer Platz zum Platz der ersten Düsseldorfer Fußgängerunterführung erkoren. Und dann war da das Capitol, ein Familienkino, auch ein Mehrzweckhaus für Theatergastspiele, von 1953 bis 1956 Ausweichbühne für die Rheinoper, als das nach dem Krieg provisorisch wiederhergestellte Opernhaus, früher „Stadttheater“, umgebaut und modernisiert wurde. Manche Opernpremiere ging da über die Bühne, schnell hatten die Orchestermusiker, die gerade keinen Part zu spielen hatten, auch ihre Stammkneipe gefunden.

Das Kino, in dem wir Chaplins „Limelight“ bestaunen oder die „Moselfahrt aus Liebeskummer“ beweinen konnten, war also theatertauglich. Das bewies die Operette „Csardasfürstin“ ebenso wie das Musical „My fair Lady“. Grete Weiser gastierte in „Lumpen“. Neben der leichten Muse gab es den „Schwierigen“ und „Des Teufels General“. Mal klebte der Gerichtsvollzieher den Kuckuck auf die Abendkasse eines Gastspielveranstalters. Doch dann war erst einmal Schluß mit den Brettern, die die Welt bedeuten. Gerade für die Fernsehwelt war noch Platz, das Capitol wurde Aufnahmestudio. Schließlich kam „Hair“, das Musical der Blumenkinder, das hier produziert, dann auch mit Riesenerfolg im „Capitol“ aufgeführt wurde. Die ganze Stadt nahm Anteil, junge Leute durchzitterten Talenttests, biedere Düsseldorfer wurden Vermieter für haarige Bühnenstars.

Vor 30 Jahren, Ende September 1969, war das „Hair“ ab. Eine Umbauauflage konnte und wollte der Eigentümer nicht erfüllen. Aus dem Theaterhaus wurde das Bauhaus. 25 Jahre, bis 1994 dauerte es, ehe die Landeshauptstadt die schon 1969 als dringend notwendig erkannte Musicalbühne bekam. Zu spät, um vom Musicalboom wirklich zu profitieren.

Und der Worringer Platz? – Entwicklungsland fast mitten in der Stadt.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 12. Oktober 1999