Gerda Kaltwasser Textforum

In Düsseldorf kaum Platz für Amateurtheater

Mit der „bühne 76“ in die „fabrik“ - Psychologisches Spiel für die Fernseh-Generation

Am 17. Januar gastiert die Düsseldorfer „bühne 76“ mit dem Spiel „Ich sehe mich dich sehen“ in der Hamburger „fabrik“. Einer von vielen Abstechern. Auf dem Programm stehen Gastspiele in Hannover und Amsterdam ebenso wie vergangenen Dezember in Köln. Die Zeitungen der Nachbarstadt würdigten anerkennend diese psychoanalytische Schau des Menschen im Fernseh-Zeitalter.

Ernest Martin, ein Düsseldorfer aus New York, meint denn auch etwas resignierend, in anderen Städten gelte die geistig-darstellerische Anstrengung der Truppe wohl mehr als am Ort ihrer Entstehung, zumindest was Auftrittsmöglichkeiten angehe.

Eine Erfahrung, die nicht nur Ernest Martins „bühne“ hier gemacht hat. Wenn sich auch dieses Amateur- und Experimentier-Theater nicht in die Schablone vom Laienspiel einordnen läßt, die Frage: „Wo auftreten mit dem Erarbeiteten?“, stellt sich Ernest Martin wie den vielen anderen Theatergruppen. Die Nachfrage ist so dringlich geworden, daß die CDU im Kulturausschuß im November eine Untersuchung über Amateurtheater anregte und auch zu prüfen vorschlug, inwieweit das Carsch-Haus nach Auszug der Kammerspiele den Düsseldorfer Theatergruppen zur Verfügung gestellt werden könne. Aber solange der Jugendstilbau am Eingang der Karlstadt nicht unter Denkmalschutz gestellt ist, droht ihm eher Tod durch Abbruch als Leben durch Laientheater.

Ernest Martin, der seine Stücke wie die Arbeit mit den Amateurdarstellern auf der Grundlage psychologischer und theaterwissenschaftlicher Studien aufbaut, hat es vor über zehn Jahren an den Rhein verschlagen. Es war die Zeit der Beatles, der Popkunst, der Aktionen. Nach New Yorker Vorbild wurde Sensitivitätstraining getrieben, wurde der Körper Ausdrucksmittel wie im ekstatischen Tanz. „Die Zeiten haben wir hinter uns“, sagt Ernest Martin lächelnd. Er fliegt alle paar Jahre nach New York, um im noch immer unbeschreiblich heißen Kulturdunst der Stadt kulturelle Neuigkeiten aufzutanken.

Er versucht mit seinen etwa 15 Spielerinnen und Spielern, die zum Teil schon seit zehn Jahren zur „bühne“ gehören und in dem Sinne wohl nicht mehr Laien genannt werden dürfen, jenem Publikum nahe zu kommen, das nicht Theaterpublikum ist. Mit seinen Collagen aus Satzfetzen und Gesten will er die „Fernseh-Generation“ ansprechen. Zu den Besuchern der Aufführungen kommen zu 80 Prozent junge Leute. Obwohl es immer mal wieder Besuche und Gegenbesuche gibt – die „bühne“-Mitarbeiter gehen ins konventionelle Theater, Schauspieler besuchen die „bühne“ -, scheint es nach Martins Worten keine Brücke zu geben zwischen den beiden Auffassungen. „In den Schauspielhäusern wird zu sehr Literatur statt Theater gespielt“, meint Martin und weist darauf hin, daß sein Publikum meist noch kein konventionelles Theater von innen gesehen hat.

Wohl wahr – doch dieses Publikum kennt das Mattscheiben-Theater vom edelgütigen „Kommissar“ bis zur Perfektion der Peter-Alexander-Schau. So steht, wie neulich bei einem Gastspiel der „bühne“ in der Freizeitstätte Garath, als junge Leute ohne Theater-Erfahrung fassungs- und verständnislos die Entschlüsselungsversuche der Ängste des modernen Menschen miterlebten, zu fürchten, daß die Besucher des konventionellen Theaters auch für die „bühne“ und ihr anderes Theater mehr Einfühlungsvermögen mitbringen als jene auf Klischees in Wort, Bild und Gedanken getrimmte „Fernseh-Generation“.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 14. Januar 1976