Gerda Kaltwasser Textforum

Ein Künstler, Preuße und Exzentriker

„Arte“ ehrt Gustaf Gründgens am 16. November mit einem Themenabend

Er starb vor 36 Jahren, 63 Jahre alt, eine Legende für die, die ihn gekannt, erlebt haben, nur noch Legende für die meisten noch lebenden Deutschen: Gustaf Gründgens. Und weil es schwierig ist, Legenden zum Leben zu erwecken, wird ein Begriff gebraucht, den heute alle verstehen. Der Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Gustaf Gründgens war das, was wir heute einen Medienstar nennen.

„Der erste Medienstar“, sagt Regisseurin Petra Haffter, und wenn sie es sagt, ist das kein Klischee: so wenig wie der Film „Ich tret‘ aus meinem Traum heraus“, den sie für den deutsch-französischen Fernseh-Kulturkanal „Arte“ zum 100. Geburtstag von Gustaf Gründgens gedreht hat. Verantwortlicher Redakteur ist Wolfgang Bergmann. Haffter und Bergmann – junge Leute in der Fernsehproduktion: für beide war Gründgens eine Legende. Jetzt ist er eine Gestalt voller Leben, auch voller Rätsel geworden. Und das wird er für jeden, der Gelegenheit hat, den Film zu sehen.

Die Gelegenheit hatten geladene Gäste im Düsseldorfer Theatermuseum, das mit seiner bedeutenden Gründgens-Sammlung das „Arte“-Projekt unterstützt hat und wo gegenwärtig mit der Ausstellung „Gustaf Gründgens – Ansichten eines Schauspielers, Bilder einer Legende“ der gebürtige Düsseldorfer zum 100. Geburtstag geehrt wird.

Gründgens, das war der Mann, der in den zwanziger Jahren aus der jungen rheinischen Provinzgroßstadt Düsseldorf in die brodelnde Hauptstadt Berlin kam, mit kaum zu bändigendem Ehrgeiz. Aber den hatten andere auch, und sie hatten auch schon Erfolg.

Gründgens wollte mehr – und bekam es. Die politischen Umstände spielten dabei keine geringe Rolle. Der spätere Reichsmarschall Hermann Göring schützte und beförderte ihn bis zum Generalintendanten des Preußischen Staatstheaters. Eine gefährliche Protektion, denn dadurch wurde Gründgens zum möglichen Opfer des Reichs-Propagandaministers und Göring-Hassers Joseph Goebbels. Gründgens wußte, dass er auf einem Seil über dem Abgrund tanzte. Er wurde als Kulturbotschafter der Nazis missbraucht, bot mit Juden verheirateten Bühnenkünstlern Schutz und rettete einigen, so dem Sänger Ernst Busch, das Leben.

Er war auch, neben dem Tennisspieler Gottfried von Cramm, der prominenteste Schwule im deutschen Nazi-Reich. Andere Homosexuelle mußten den rosa Winkel tragen. Gründgens, der Exzentriker mit preußischem Pflichtbewußtsein, feierte sich und die Schauspielkunst in der Rolle des Oberzynikers Mephisto, in der des zerrissenen Königssohnes Hamlet. Er sang vom „großen Glück des kleinen Glücks“, tanzte als Leinwandstar auf dem Vulkan, machte sich im Krieg bei der Truppenbetreuung rar, wurde nach Kriegsende von den Sowjets ins Lager geschickt. Dann folgten neue künstlerische Triumphe; in der Heimatstadt Düsseldorf, in Hamburg. Verehrung, Liebe für den Künstler und Menschen bezeugen Lola Müthel, Hanne Hiob, Marianne Hoppe, Elisabeth Flickenschildt, Antje Weisgerber, Will Quadflieg, Heinz Reincke.

Nachdem Gründgens von der Last und dem „Übermut der Ämter“ befreit zu einer Weltreise aufgebrochen war, um „vielleicht noch etwas Neues zu entdecken“, starb er in Manila. Wer ihn kannte, glaubte nicht an Selbstmord.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. 12. November 1999