Gerda Kaltwasser Textforum

Klavierkonzert bei weit geöffneten Fenstern

Reinhard Kolbergs zweiter Beethoven-Abend diesmal im Kammermusiksaaldes Palais Wittgenstein / Trotz Hitze Zugabe

OBERKASSEL/ STADTMITTE. Ein Juniabend vor etwa 45 Jahren in einem kleinen Dorf an der Nordostküste von Mallorca. Wasser wird aus Zisternen georgelt, elektrischen Strom gibt es nur von acht bis 12 Uhr abends. Aus dem geöffneten Fenster eines Hauses nahe der Kirche dringt Klaviermusik, Beethovens Sonate F-Dur op. 10/2. Der amerikanische Schriftsteller, der hier wohnt, hat sein Koffergrammophon angeworfen. Die Autorin lauscht.

Ein Juniabend 2000 in Düsseldorf, der bisher heißeste des Jahres. Die Hof-Fenster des Kammermusiksaals im Palais Wittgenstein stehen weit offen, Musik dringt hinaus, Beethovens Klaviersonate F-Dur op. 10/2. Die Autorin erinnert sich. Doch spielt nicht das Koffergrammophon, sondern der Pianist Reinhard Kolberg, der hier seinen ehrgeizigen Beethovenzyklus fortsetzt.

Damals, vor 45 Jahren, war Kolberg noch nicht geboren, heute gehört er zu den aufstrebenden Talenten, begabt als Musikpädagoge, geübt im Umgang mit moderner Musikelektronik und zu Haus im Musikschaffen vom Barock bis zur jüngsten Moderne. Trotzdem, ein Zyklus, angelegt auf sämtliche Klaviersonaten Beethovens, ist eine Herausforderung.

Heiter ist die F-Dur Sonate, doch die schwere Hitze im Saal macht Heiterkeit zur schwierigen Übung. Salzig perlt es von der Stirn, beißt in die Augen, Tropfen lassen die Elfenbeintasten zu teuflisch glatten Rutschbahnen werden. Als das Presto gemeistert ist, applaudiert ein begeistertes Publikum. Dann erhebt sich der Sturm. „Der Sturm“ wird die Sonate in d-moll op 31/2 aus den Jahren 1801/02 genannt. Die Hörer erahnen die Naturnähe dieser Musik, die nichts mit Programm-Musik zu tun hat.

Nach der Pause die „Mondscheinsonate“, die, abgesehen vom 1. Satz Adagio sostenuto und der Tonart cis-moll eigentlich eine Sonnenscheinsonate ist. Das Konzertpublikum registriert einfühlsam die Amseln, die auf das Klavierspiel antworten. Ob die Nachbarn, die bei der Fußball-EM vor dem Fernseher hocken, das auch so hinnehmen? Beschwert hat sich jedenfalls keiner.

Zum Abschluß des Programms mit dem Titel „Quasi una Fantasia“ die Es-Dur-Sonate „Les adieux“, trauriges „Lebewohl“, sehnende „Abwesenheit“, doch dann der Jubel des Wiedersehens im letzten Satz mit der Forderung „Vivacissimamente“. Trotz Hitze wird eine Zugabe verlangt. Als das Publikum ins Dämmerlicht der Sommernacht strömt, perlen noch immer Läufe durchs Fenster, „Les Adieux“ des Pianisten.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Stadteilnachrichten, 27. Juni 2000