Gerda Kaltwasser Textforum

Mann der fünf Sprachen und 10 000 Bücher

Komponist und Dichter – Reichardt und Goethe

Auch Grufties wie die Klassiker sind für Überraschungen gut. Vor allem für jene, die sich nicht zum kleinen Kreis der Kenner zählen dürfen. Da widmet zum Beispiel das Goethe-Museum im Schloss Jägerhof dem Herrn Johann Friedrich Reichardt eine Ausstellung zum Gedenken an dessen 250. Geburtstag. Der Mann war Komponist, Dirigent beim alten Fritzen in Berlin, sprach fünf Sprachen, besaß eine Bibliothek mit 10 000 Bänden, gehörte zu der wortwörtlichen Handvoll Leute, mit denen sich der alte Goethe duzte, hat Goethe vom Veilchen über „Erwin und Elmire“ bis „Egmont“ vertont, und doch ...

Also, dieser Reichardt, am 25. November 1752 in Königsberg geboren, ließ sich von der musikalischen Poesie in Goethes literarischem Werk inspirieren, zeigte sich auch offen für Goethes theoretische Überlegungen etwa zu Problemen der Deklamation und des Komponierens. Die Musik als Therapiemittel bei Depressionen übertrug er auf praktische Experimente in Weimar am Liebhabertheater der besseren Gesellschaft, die es wiederum überhaupt nicht komisch fand, dass der Dichter und hohe Staatsbeamte Goethe den Musikus bei sich logieren ließ.

Außerdem komponierte er die Musik zu Goethes Theaterstückchen „Erwin und Elmire“, obwohl Herzogin Anna Amalia dazu schon ihrem Freund Goethe eine Musik geschrieben hatte – Goethes Stück mit Anna Amalias Musik hat das „Theater Überall“ im Goethe-Jahr 1999 in Düsseldorf aufgeführt.

Der ungewöhnlich fähige und ungewöhnlich selbstbewusste Herr Reichardt fiel bei seinem König Friedrich II. in Ungnade wegen republikanischer Publikationen; die gefielen auch Goethe nicht, und die Herren grüßten einander kaum noch. Reichardts späteres Wohlwollen für Napoleon machte die Sache nicht besser. Seine bald schwindende Sympathie für den kriegerischen Imperator führte aber dazu, dass französische Truppen seinen Besitz auf Burg Gibichenstein völlig zerstörten. Später gingen Goethe und Reichardt wieder aufeinander zu.

In der Zwischenzeit hatte der wackere Berliner Komponist und Männerchorbegründer Karl Friedrich Zelter Reichardts Platz in Goethes musikalischem Hinterkopf besetzt und blieb dort haften. Reichardt musste schließlich seine gesammelten Goethe-Kompositionen dessen Frau Christiane als Vermittlerin überreichen.

Genug Klatsch aus dem Hause Goethe um den Herrn Reichardt. Der starb übrigens schon 1814. Regine Zeller vom Goethe-Museum, das seine musikalischen Schätze auch im Internet vorstellt, hat aus den staunenswerten Beständen des Museums die Ausstellung zusammengestellt – staunenswert auch für den Reichardt-Forscher Professor Dr. Walter Salmen von der Universität Freiburg, wohin die Ausstellung wandert. Zur Eröffnung am Sonntag um 11 Uhr ist reichlich Reichardt/Goethe zu hören, gesungen vom Chor des Görres-Gymnasiums.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 1. März 2002