Anna Klapheck Textforum

Dialog mit sich selbst

Max Beckmanns „Tagebücher“ und „Selbstbildnisse“

„Kunst ist eine grausame Angelegenheit, deren Rausch bitter bezahlt werden muß.“ Der dies am 4. April 1949 im amerikanischen St. Louis in sein Tagebuch schrieb, der deutsche Maler Max Beckmann, war ein zutiefst melancholischer Mensch. Durch seine nahezu täglichen Aufzeichnungen, die wir nun zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages in einer neuen Auflage nachlesen können (Max Beckmann: „Tagebücher 1940-1950“, zusammengestellt von Mathilde Q. Beckmann. Verlag Piper. 444 Seiten, 28 Abb. 44,- DM) zieht sich die Frage nach dem „Wozu?“, ziehen sich leitmotivisch Lebensüberdruß und Todesgedanken.

Erbarmungslos werden die fast täglichen „Depressionen“ notiert, wird die „letzte Abfahrt“ herbeigesehnt. Und noch auf einer Eisenbahnfahrt nach New York, nachdem sich der früh erworbene Ruhm erneut eingestellt hatte, wird lakonisch vermerkt: „Neuen Leiden entgegen, das ist sicher.“

Aber dieser große Melancholiker war zugleich, eine nicht seltene Mischung, dem intensivsten Lebensgenuß ergeben. Er liebte Gesellschaft, Kino, Zirkus, tanzte gern, bevorzugte die feinen Lokale, gewähltes Essen. Zeitweilig, so der Eindruck beim Lesen, war er kaum einen Abend zu Hause. Drei Bars wurden nacheinander besucht, von „10 Glas Sekt“ und „8 Whiskys“ ist die Rede. „Unbändiger Lebenswille, gemischt mit Zorn und Resignation“; so zieht er das Fazit seiner Existenz.

Die angeführten Zitate sind fast willkürlich herausgegriffen aus den mehr als tausend Tagebuch-Eintragungen, die, stichwortartig abgefasst, mit ihren vielen Haha’s und Hoho’s, mit naja und ohje, wie gesprochen wirken. „Aus einer Art Angst mich ganz zu verlieren“, so der Kommentar zu seiner Selbstdarstellung, dem freilich gleich wieder Spott folgt: „Tagebuch ist nicht klug / schreibt alles auf / vom dummen Tageslauf.“ Beckmann schrieb seine Notizen zumeist auf Kalenderblätter mit vorgedrucktem Datum und fügte ihnen gelegentlich auch flüchtige Zeichnungen hinzu. An eine spätere Veröffentlichung hat er bestimmt nie gedacht.

Nicht alle Tagebücher – in früher Jugend hat er diese Schreibgewohnheit bereits aufgenommen – blieben erhalten. Beckmann und seine Frau „Quappi“ (geborene Mathilde von Kaulbach) waren 1937, einen Tag vor Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“, die auch Bilder Beckmanns enthielt, nach Amsterdam ausgewichen. Beim Einmarsch der Deutschen in Holland hat Beckmann alle früheren Aufzeichnungen bis auf wenige Ausnahmen vernichtet.

So haben wir einen fortlaufenden Bericht nur aus dem letzten Lebensjahrzehnt, der 1955 zuerst erschienen ist (damals bei Langen-Müller). Der Text wurde in der Neuauflage nur leicht revidiert, der Abbildungsteil erweitert, das schöne Nachwort von Erhard Göpel, der Beckmann in dessen Amsterdamer Zeit nahestand, beibehalten. Hinzu kam ein orientierendes Vorwort von Friedhelm W. Fischer.

Erhalten blieben weiterhin Notizen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die gleichfalls als erweiterte Neuausgabe zum Beckmann-Jahr erschienen sind (Max Beckmann: „Leben in Berlin. Tagebuch 1908-1909“. Herausgegeben von Hans Kinkel. Piper Verlag. 75 Seiten, 29 Abb., 9,80 DM). Die Notizen selbst und die hervorragenden Kommentare des Herausgebers geben vielfältigen Aufschluß über Personen und Ereignisse des Berliner Kunstlebens jener Jahre. Im Vergleich zu den abrupten späteren Aufzeichnungen gibt sich Beckmann hier noch etwas verweilender und spart nicht mit höchst subjektiven Urteilen über die zeitgenössische Kunst. So wird beispielsweise Matisse als „unbedeutend“ abgelehnt. Dem großen späteren Tagebuch fehlen leider alle Angaben über die angesprochenen Personen.

Über den Aufzeichnungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit liegt als Schatten das Schicksal der Emigration. Das ständige Gefühl des Bedrohtseins, Bombennächte, kalte Zimmer – das alles haben die Beckmanns noch in Holland hinreichend zu spüren bekommen. Auch als die Übersiedlung nach New York glücklich vollzogen war, Lehrtätigkeit und zunehmende Bilderverkäufe das Leben äußerlich leichter machten, blieb das Gefühl der Fremdheit bestehen. Mit der englischen Sprache wurde Beckmann nie recht vertraut. Wohl liebte er New York, die Spaziergänge mit Hund Butshy im Central Park, wo er die „squirrels“ (Eichhörnchen) fütterte. Bei einem solchen Spaziergang brach er am 27. Dezember 1950 tot zusammen. Ein Herzleiden hatte sich schon früh bemerkbar gemacht.

Ein Vergleich mit den vielfach im selben Zeitraum entstandenen Tagebüchern von Thomas Mann drängt sich auf. Beider Künstler Schicksal war die Emigration, das Fluchtziel Amerika. Die Eintragungen ähneln sich in der Ausführlichkeit der Mitteilung: über den Tagesverlauf, über Lektüre, Besuche, Korrespondenz. Besondere Aufmerksamkeit wird dem physischen Befinden gewidmet, jede eingenommene Tablette gewissenhaft vermerkt. Aber wieviel kühler, sachlicher sind Thomas Manns Notizen im Vergleich mit den Emotionen Beckmanns. An Bord der „Westerdam“, bei der ersten Überfahrt nach Amerika (1947), sind Beckmanns mit dem Ehepaar Mann zusammengetroffen. Ein näherer Kontakt zwischen den beiden so ungleichen Naturen stellt sich jedoch nicht ein.

Bleibt die Frage: Was erfahren wir aus Max Beckmanns Tagebüchern über seine Kunst? Über seine Formvorstellungen, den bildnerischen Prozeß so gut wie nichts, dagegen außerordentlich viel über die bis zur Erschöpfung getriebene tägliche Arbeit. Von sechs bis sieben Arbeitsstunden ist anfangs die Rede. Immer jagender werden die Einfälle, immer stärker der Drang, sich ganz zu verausgaben.

Elf Tage vor seinem Tod notiert er: „12 Stunden an dem Kopf von Argo – welcher Wahnsinn.“ Aus dem Grau der Stimmungen hebt sich dann aber doch auch, selten genug, ein kleiner triumphierender Satz: „Habe doch Talent“, „… aber malen ist schön.“

Am 29. März 1950, seinem Todesjahr, notiert Beckmann: „Mit allerletzter Gewaltanstrengung nochmals das blaue Selbstporträt umgeändert und beendet … Den ganzen Tag eigentlich innerlich damit beschäftigt.“ Es war das letzte Selbstbildnis in der langen Reihe von 54 Selbstdarstellungen, die von früher Jugend an sein Werk durchziehen. Der täglichen Selbstbefragung im Wort entspricht der nicht minder bohrende Dialog mit bildnerischen Mitteln. Als schöne Gabe zum Beckmann-Jahr sind die gemalten Selbstporträts in hervorragenden farbigen Reproduktionen zu einem Band vereinigt worden (Max Beckmann: „Selbstbildnisse“. Text von Hildegard Zenser, Verlag Schirmer/Mosel. 160 Seiten, 54 Farbtafeln, 49,80 DM).

Daß nach traditionellem Beginn das Form- und Lebensgefühl des Expressionismus anklingt, dem Beckmann generationsmäßig zugehört, daß die Neue Sachlichkeit gestreift wird, bis dann der eigenste Beckmann-Stil durchbricht: Das ist mühelos von den Selbstbildnissen abzulesen. Bemerkenswert auch, daß Beckmann stets im Bereich des Figurativen blieb und von der großen Strömung der Abstraktion nicht angerührt wurde. Picasso mochte er nicht, nannte ihn einen Clown.

Das Biographische spielte bei einem so ausgeprägten Egozentriker natürlich eine beherrschende Rolle. Besonders greifbar wird es in dem berühmten „Selbstbildnis im Smoking“ (1927), entstanden bald nach der Berufung zum Professor an der Städelschule in Frankfurt und der ersten Ausstellung in Amerika; Selbstbehauptung und Erfolg bilden gleichsam das Programm. Im „Selbstbildnis im Hotel“ (1932) wächst der Gedanke der Bedrohung übergroß auf. Das bereits in Amsterdam entstandene Selbstbildnis „Der Befreite“ (1937) spiegelt die neue Situation.

Die Verfasserin des Textes hat alle Bezüge sorgfältig nachgezeichnet. Beim Lesen der Tagebücher sollte man die „Selbstbildnisse“ neben sich liegen haben.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Geist und Leben, 16. Juni 1984