Anna Klapheck Textforum

Geheimnis des Dichterbundes

Die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller

Vorm Weimarer Theater stehen sie noch immer auf hohem Sockel beieinander, sich gegenseitig den Lorbeerkranz reichend: Schiller, der größere, jüngere, den Blick nach oben gerichtet, Goethe, fest, irdisch, geradeaus ins Leben schauend. So hat sie Ernst Rietschel 1857 in Bronze gegossen, im Geschmack der Zeit, mit Rock, Weste und Schnallenschuhen. So sah der gebildete Deutsche damals seine Dichter. Wohl lockte ihre Verschiedenheit zum Vergleich, aber aller Wertung wurde schon früh mit der hausbackenen Weisheit begegnet, man solle doch froh sein, „zwei solche Kerle“ zu besitzen.

Dokument ihrer Freundschaft ist ihr Briefwechsel, der sich über elf Jahre hinzog (1794-1805) und über tausend Schriftstücke auf rund tausend Seiten umfaßt. Auch die kleinsten Billettchen über alltägliche Dinge wurden aufgenommen. Goethe selbst hat diesen Briefwechsel für den Druck vorbereitet. „Es wird eine große Gabe sein, die den Deutschen, ich darf wohl sagen den Menschen geboten wird“, schrieb er an Zelter. Die vollständige Sammlung, dem Bayernkönig Ludwig I. gewidmet, erschien 1829 bei Cotta. Rasch folgten weitere Auflagen, als letzte 1977 ein Inseltaschenbuch in zwei Bänden (20 Mark).

Vor mir liegt eine ererbte Ausgabe von 1892, in rotem Leder mit goldgepreßtem Titel. Der Herausgeber Franz Muncker spricht in seiner Einleitung von dem „Herzensbund“ der beiden Dichter als „dem höchsten Beispiel wahrer, warmer Freundschaft“; auf ihn reichten „die Keime alles Gesunden und Echten zurück, was die spätere deutsche Kunst…zur Reife brachte“. Flüchtig blätternd, stoße ich auf die Stelle: „Halten Sie sich ja zu Ihrem Wallenstein, ich werde wohl zunächst an meinen Faust gehen.“ Da stockt nun doch der Atem.

Der Briefwechsel und die Freundschaft, für die er zeugt, sind ein unantastbarer Besitz der geistigen Welt. Und doch – bis heute hat er die Leser beunruhigt, wurde an dem Bündnis und seinen letzten Gründen gerätselt. Früh auch meldeten sich Kritiker zu Wort, die die übergroße Heroisierung der beiden Gestalten mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen versuchten. Bekannt ist, daß sich die beiden Dichter vor ihrer berühmten Begegnung 1794 in der „Naturforschenden Gesellschaft“ in Jena, die zu einem ersten langen Gespräch in Schillers Haus führte, eher mieden und ihre Annäherung mühsam war. „Ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden.“ (Schiller an Körner). Und Goethe, rückblickend (1817): „An keine Vereinigung war zu denken.“ Als der Bann sich dann doch schließlich löste, die Kutsche zwischen Weimar und Jena die neuen Freunde immer häufiger zusammenführte und die Botenfrau zum Posttag ihre Briefe regelmäßig beförderte, da war auch der Weimarer Klatsch zur Stelle.

Hämisch wurde vor allem bemerkt, daß die beiden Schillers wohl häufig am Frauenplan vorfuhren, die Demoiselle Vulpius hingegen von jeglichem Verkehr ausgeschlossen blieb. Mit provozierender Hartnäckigkeit beschließt Goethe jeden Brief: „Grüßen Sie Ihre liebe Frau“, seitens Schillers wird die einstige Blumenbinderin nie erwähnt. Oder doch ein einziges Mal: Schiller bittet Goethe, die Mlle. Vulpius möge doch das bei Goethe liegende Druckpapier nach Jena übersenden. Dabei hatte Goethe am Anfang ihrer Freundschaft vertrauensvoll an Schiller geschrieben: „Mein Ehstand ist eben acht Jahre alt.“ Auch versucht er, die beiden gleichaltrigen Söhne August und Karl zusammenzubringen. Schiller reagiert auf das alles nicht, und für die geborene von Lenggfeld hat die Demoiselle nicht existiert. Es ist zu bewundern, wie Goethe diese Unarten übersieht.

Doch auch von literarischer Seite wurde an dem Briefwechsel gemäkelt. Grabbe, glühender Anhänger Schillers, veröffentlichte 1835 eine Rezension, die in rüdester Form die Aufrichtigkeit dieses Dichteraustausches in Frage stellt; auch bemängelte er, daß mit der Veröffentlichung jedes kleinen Blättchens die „Erbärmlichkeiten“ des Privatlebens der Schreiber ans Licht kämen. Nietzsche, einseitig Goethe verschworen, „haßte“ den Briefwechsel.

Unsere Zeit, geschärfteren Sinnes für innere Vorgänge, hat denn auch an Hand des Briefwechsels Tatbestände aufgedeckt, die das idealistische Bild vom „Herzensbund“ anzuzweifeln wagen. Thomas Mann, dem wir freilich dichterische Freiheit zubilligen müssen, läßt in seiner schönen Novelle von 1905, „Schwere Stunde“, Schillers frühes Elend, seine physischen Leiden, seine Zweifel an sich selbst gewärtig sein, läßt ihn dann, den Stachel im Herzen, hinüberdenken „an den anderen, den Hellen…an den dort in Weimar, den er mit einer sehnsüchtigen Feindschaft liebte“. In dem großen Goethe-Monolog in „Lotte von Weimar“ läßt Mann seinen Goethe gnadenlos fragen: „Mocht ich ihn jemals? Nie“, um ihn dann ein paar Zeilen später sagen zu lassen: „…wär er noch da. Ja, mit wem sprech ich über Faust, seitdem der Mann aus der Zeit ist…einzig ebenbürtig, einzig verwandt.“

Sehr hart geht Hans Mayer in seinem Essayband „Goethe“ (Suhrkamp 1973) mit der „Allianz“ Goethe-Schiller ins Gericht. Er spricht unumwunden von einer „prekären Freundschaft“, die für Goethe ein „Erleidnis“ gewesen sei. Goethes Vereinsamung nach der italienischen Reise stand Schillers wachsende Popularität gegenüber, Goethe „brauchte“ den anderen, den Gegenspieler. Nach Mayer hat Goethe in diese Allianz mehr Liebe eingebracht als Schiller, den die Freundschaft mit Goethe vor allem zur Gleichberechtigung mit dem Größten führte. Eine gewisse Förmlichkeit im Briefaustausch kann dem aufmerksamen Leser freilich nicht entgehen. Wie anders klingen Goethes Briefe an Zelter oder die von Schiller an Körner. Das vertraute Du, das Goethe noch in späten Jahren Zelter anbot, hat sich mit Schiller nie eingestellt.

Nach so viel kritischer Analyse tut es dann doch gut, bei Emil Staiger, dem bekannten Schweizer Literarhistoriker und Goethe-Kenner, in seiner Einleitung zur jüngsten Ausgabe des Briefwechsels die Dinge wieder zurechtgerückt zu finden. Natürlich weiß auch Staiger von den unvermeidlichen Spannungen zwischen zwei so hochsensiblen Naturen. Aller Skepsis stellt er jedoch das Faktum einer „einzigartigen Freundschaft“ gegenüber. Sind Goethes Worte vom „neuen Frühling“, der mit dem Freundschaftsbund begann, oder ist der erschütternde „Epilog zu Schillers Glocke“, bald nach Schillers Tod geschrieben – sind solche Äußerungen wirklich in ihrem Wahrheitsgehalt anzuzweifeln? Oder ist Schillers Briefstelle, er sei auch nicht einen Augenblick an Goethes Charakter irre geworden, als Heuchelei abzutun? Nur mit den Worten „Liebe und Größe“, so Staiger, sei zusammenzufassen, was die beiden Dichter verband.

Im Düsseldorfer Goethe-Museum sprach kürzlich Katharina Mommsen, Professorin an der Stanford University (Kalifornien), über „Goethes Freundschaft mit Schiller in neuem Licht“. Die Vortragende, deren Weg von Berlin an amerikanische Universitäten geführt hat, setzte die Kenntnis dieser Dichterfreundschaft bei den Zuhörern voraus; sie überraschte mit wissenschaftlichen Ergebnissen, die dem unendlichen Stoff wieder ganze neue Seiten abgewannen. In Gedichten sowohl Goethes als auch Schillers sei man „geheimen Botschaften“ auf die Spur gekommen, die in verschlüsselter Form auf die durch Leid und Glück geprägte Freundschaft hinwiesen. Einige Liebes-Elegien Goethes seien in Wahrheit Freundschaftsgedichte an Schiller.

In die ersten Jahre ihrer Freundschaft fällt Goethes Entschluß, Weimar zu verlassen und sich, vermutlich für immer, in Rom anzusiedeln. Goethe befand sich, wie erwähnt, in einer Schaffenskrise, das Publikum stand, nach dem Rausch des „Werther“ und des „Götz“, seinen späteren Werken gleichgültig gegenüber. Die Enge Weimars bedrückte ihn, Rom erschien als Rettung. Äußere Ereignisse verhinderten die Abreise; endlich aber ist der Weg frei. Das Haus ist bestellt, das Testament gemacht. Nun aber stellen sich innere Widerstände ein: einmal Christiane, gewichtiger noch – Schiller.

Die Elegie „Alexis und Dora“ (1796) und die etwas später entstandene kleine Ballade „Wanderer und Pächterin“ handeln beide von dem Konflikt zwischen Aufbruch und Bleiben, gemeint war: zwischen Rom und Weimar. Goethe entschied sich gegen Rom und für Weimar. Nach Darlegung von Frau Mommsen war dies ein Verzicht zugunsten Schillers gewesen, aus Liebe zu ihm habe er dies Opfer gebracht.

Die Freundschaft mit Schiller war für Goethe nicht frei von Belastung. Schiller forderte ihn in vielerlei Hinsicht, als Mitarbeiter an den „Horen“ und den „Xenien“, er zwang ihn, den letztlich Verschlossenen, zu einem Übermaß an geistigem Austausch. Goethe wußte, daß Schiller ihn „brauchte“. Goethe regt Schiller an, spielt ihm sogar eigene Stoffe zu („Tell“ war ursprünglich von Goethe geplant). So ist es letztlich „Liebe“, die Goethes Verhalten bestimmt. Schiller dankt ihm in einem langen Brief (2.7.96) mit den Worten, daß es „dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe“.

In dem Gedicht „Begegnung“ spielt Schiller auf die erste Begegnung mit Goethe an, 1779 in Stuttgart, als er den Großen nur von Ferne anstaunen konnte. Auch hier verbirgt sich die Huldigung in der Form eines Liebesgedichtes. Das schönste Symbol ihrer Freundschaft fand Goethe jedoch in seiner Elegie „Amynthas“ (1797): der Apfelbaum (Goethe), dessen Früchte zur Zeit nur spärlich sind, weil der junge gewaltige Efeu (Schiller) ihn „still, mit begieriger Kraft“ umschlingt. Die Elegie endet: „Wer sich der Liebe vertraut, hält er sein Leben zu Rat?“ Ob die philologische Auslegung der Gedichte in allem und jedem recht hat, ob Goethes Entschluß, auf Rom zu verzichten, tatsächlich als ein „Opfer“ für Schiller zu verstehen ist, dies bleibe dahingestellt. Jedenfalls erwies der anregende Vortrag, daß des Nachdenkens über diese unvergleichliche Dichterfreundschaft und ihre Geheimnisse noch immer kein Ende ist.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Geist und Leben, 6. November 1982