Anna Klapheck Textforum

Das Wandbild als Predigt

Der Düsseldorfer Historienmaler Peter Janssen

Allenfalls in Düsseldorf, seiner Heimatstadt, kennt man noch den Namen des Historienmalers und Akademie-Direktors Peter Janssen (1844-1908). Eine Straße heißt nach ihm; im Jan-Wellem-Saal des Rathauses, der Guten Stube der Stadt, wo die offiziellen Gäste empfangen werden, hängt – unübersehbar – sein vier mal sechs Meter großes Wandbild „Die Schlacht bei Worringen“, das ihm einst die Goldmedaille der Großen Berliner Kunstausstellung einbrachte. Sonst aber ist die Kunstgeschichte über ihn hinweggegangen, in den neueren Darstellungen findet man ihn nicht einmal erwähnt. In die allgemeine Aufwertung der Kunst des 19. Jahrhunderts wurde er nicht einbezogen. Und eben dieser Maler wurde von den Zeitgenossen enthusiastisch gefeiert. Seine Wandmalereien verglich man mit denen eines Michelangelo und Tiepolo.

Eine derart jähe Wandlung in der Beurteilung eines Künstlers ist an sich nichts Seltenes. Gerade für das vergangene Jahrhundert erlebten wir die Wiederentdeckung von Künstlern und Richtungen, die für immer als abgetan gegolten hatten: der Jugendstil, Max Klinger oder sogar Makart. Peter Janssen aber geriet nicht wieder ins Blickfeld, der Zugang zu seinem Werk, das aus dem nationalen Denken der Wilhelminischen Zeit erwachsen ist, scheint endgültig verschüttet.

Die aus einer Dissertation an der Kölner Universität hervorgegangene zweibändige Studie „Peter Janssen als Historienmaler“ von Dietrich Bieber (Dissertationsdruck bei R. Habelt Bonn, 844 Seiten, 373 Abb., 50,- DM, gedruckt mit Unterstützung der Gerda-Henkel-Stiftung Düsseldorf) hält sich, bei aller Ausführlichkeit und Akribie, die Dissertationen eigen sind (1624 Anmerkungen!), von einer Überhöhung des Gegenstandes glücklicherweise frei. Der Verfasser weiß, daß es sich bei Janssen um einen Eklektiker handelt, der zwar in der großen, mit Rethel und Cornelius begonnenen Tradition Düsseldorfer Historienmalerei steht, den kritische Stimmen aber bereits zu Lebzeiten als konservativ und verspätet bezeichneten. Man bemängelte die Abhängigkeit von Vorbildern, Prunk und Überladenheit, peinliches Sichtbarwerden von Modellstudien. Oft wurde Janssens Kunst mit den Theater-Effekten der Meininger verglichen. Justi nannte ihn „langweilig“, Gurlitt schreibt in seiner Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts (1902) in erfrischender Offenheit: „Mir ist das Herz für diese Kunst versagt.“

Eine „Ehrenrettung“ Janssens ist von Bieber also nicht beabsichtigt und auch kaum zu erwarten. Dennoch kann der Verfasser, trotz aller Vorbehalte, Janssens Kunst in ihrem unerhörten Fleiß auch einige positive Seiten abgewinnen: der Versuch, sich bei allem Pathos doch auch mit dem neuen Realismus auseinanderzusetzen; Ansätze zu einer über die bloße Pose hinausgehenden Psychologie; nicht zuletzt das Bemühen, seine riesigen Bilderwände mit dem sie umgebenden Raum in Einklang zu bringen. Thema dieser Janssen-Studie ist allein die Wandmalerei, was einen Verzicht bedeutet. Denn in seinen Bildnissen kann sich der routinierte Meister mit den besten Porträtisten seiner Zeit messen.

„Monumentalmaler“ im strengen Sinn ist Janssen nicht gewesen. Während sich die von Schadow und Bendemann geführte Generation noch um die echte Freskotechnik bemühte und Deger und seine Freunde bei der Ausmalung der Apollinariskirche von Remagen tapfer auf den Gerüsten herumkletterten, war Janssens Kunst vom Geist und von der Technik der Ölmalerei bestimmt. Seine Wandbilder sind mit geringen Ausnahmen im Atelier entstanden, mit Kaseinfarben auf Leinwand gemalt und daher von den Wänden abnehmbar. Die Grenze zwischen Wandbild und Staffeleibild ist fließend. Doch hatte das immerhin zur Folge, daß manche „Wandbilder“, auch wenn das Gebäude dem Krieg zum Opfer fiel, erhalten blieben. Freilich schlummern die so „geretteten“ Bilder, wie bei Bieber nachzulesen, aufgerollt, unzugänglich und unbeachtet in den Depots der Museen.

Drei der wichtigsten Wandzyklen (bei der Herstellung so riesiger Ausmalungen wurden natürlich Gehilfen herangezogen) blieben indes an Ort und Stelle erhalten: die Bilderfriese für das Erfurter Rathaus (1878), die Aula der Marburger Universität (1892) und die sogenannte „Kemenate“ von Schloß Burg a.d. Wupper (1907). Zusammen mit den nur bruchstückhaft erhaltenen oder nur in Fotografien überlieferten Bildwänden wurden sie von Bieber eingehend analysiert. Dabei zeigt sich, wie Janssens Kunst nach kräftigem Ansatz mehr und mehr zu Massendarstellungen und genrehafter Ausschmückung der historischen Ereignisse führte.

Wichtiger als die Einzelbetrachtung ist jedoch die Einordnung des Gesamtwerkes in die damalige geschichtliche Situation. Sowohl nach Thematik (Arminius, Hanse, preußische Geschichte) als auch im Pathos der Darstellung spiegelt Janssens Werk das nationale Denken der Zeit. Geschichtliche Ereignisse werden als aktualisierter Bildungsstoff vermittelt, wobei ein moralisch-pädagogischer Unterton stets mitschwingt. Das neue Reichsdenken fand in den heldenhaften Taten deutscher Vergangenheit sein Widerspiel. So wird die Varusschlacht (Rathaus Krefeld) gleichsam zu einer „Präfiguration des Glanzes und Glückes des Vaterlandes“.

In dem drei Meter hohen Wandfries der Aula der Düsseldorfer Kunstakademie, den Janssen ausnahmsweise direkt auf die Wand malte, wandte er sich bewußt an die Jugend. Hier wird, von Versen begleitet, das menschliche Dasein „von der Wiege bis zum Grabe“ in Bilder gefaßt: ein Hymnus auf den „idealen Menschen“ oder, wie der Kunsthistoriker v. Oettingen bei der Einweihung der Aula (1896) sagte, „eine gewaltige Predigt an den Wänden“, die die jungen „Herren Akademiker“ aufforderte, „die ungeschriebenen Gesetze des vorbildlichen Lebens“ anzuerkennen.

Drei Rundgemälde, Phantasie, Schönheit, Natur symbolisierend, sind – nach dem Vorbild venezianischer Architekturen – in die Decke eingefügt. Das Ideale verbindet sich durch sie mit dem Realen, das im Fries dargestellt ist. Die gesamte untere Zone des Raumes war mit punkvollem Schmuck übersät, wobei das festliche Portal, Kamine und Leuchter die Paradestücke bildeten. Paul Clemen nannte das Ganze „ein geschlossenes Denkmal der künstlerischen Anschauung vom Ende der ersten großen Wilhelminischen und Bismarckischen Jahre“.

Nur dreißig Jahre lang blieb die kostspielige Ausstattung bestehen. Der 1924 zum Direktor berufene Walter Kaesbach, der die Akademie aus neuzeitlichem Geiste zu reformieren begann, ließ alles herausreißen und setzte statt dessen eine schmucklose goldene Wand. Die Bilder des Vorgängers wagte er freilich nicht anzutasten. Doch schwebten sie, schlecht beleuchtet, wie etwas Abgetanes über der goldenen Fläche. Die gesamte „Goldene Aula“ wurde im Krieg zerstört. Nur die drei auf Leinen gemalten und daher abnehmbaren Deckenbilder waren rechtzeitig geborgen worden und werden in der Bibliothek der Akademie aufbewahrt.

So ist das Gemälde „Die Schlacht bei Worringen“ (1893) im Rathaus neben einigen kleineren Stücken im Museum das einzige in Düsseldorf an öffentlicher Stelle sichtbare Zeugnis Janssenscher Historienmalerei (eine kleinere eigenhändige Replik befindet sich in einer Düsseldorfer Brauerei). Ein lokalpatriotischer Bürger hatte das Bild für die Städtische Galerie gestiftet. Es zeigt, wie der Mönch Walter Dodde die Bergischen Bauern zu ihrem entscheidenden Kampf gegen die Truppen des Kölner Erzbischofs anfeuert. Infolge des Sieges der „Bergischen“ wurde Düsseldorf 1288 zur Stadt erhoben. Sein Platz im Düsseldorfer Rathaus ist dem Bild daher wohl sicher.

Dem heutigen Auge fällt es schwer, sich im Getümmel der zahllosen Gestalten zurechtzufinden. Daß den ausladenden Gesten der Figuren ein übereifriges Modellstudium zugrunde lag, wurde von der akademischen Jugend schon damals kritisch bemerkt. Und da das von Janssen am häufigsten beschäftigte Modell Pothmann hieß, wurde die „Schlacht bei Worringen“ in den Künstler-Ateliers bald in einen „Kampf der Pothmänner gegen die Pothmänner“ umbenannt. Der vor zwei Jahren verstorbene Enkel des Malers, ebenfalls ein Peter Janssen und Professor an der Berliner Kunsthochschule, hat die Geschichte von den Pothmännern gern und mit Witz erzählt.

Janssens pathetisch-patriotische Malerei wird schwerlich eine Neubewertung erfahren. Wenn sich jedoch um ein Kunstwerk Anekdötchen ranken, so ist auch dies eine Form bescheidenen Ruhms.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Geist und Leben, 18. Oktober 1980