Anna Klapheck Textforum

Eine Schöpfung von der andere gespeist

Gedenkstunde für Anton Kippenberg / Verpflichtende Sammlung

Im Jahr 1953 gelang es, in hartem Wettstreit mit anderen Städten, die in eine Stiftung umgewandelte Goethe-Sammlung Anton Kippenbergs für Düsseldorf zu gewinnen. Damit wurde Düsseldorf, nach Frankfurt und Weimar, zur dritten „Goethestadt“ Deutschlands. Auch ein Stück des alten Leipziger Insel-Verlags und des dort waltenden „Insel-Geistes“ kamen mit der Sammlung an den Rhein, denn Verlag und Sammlung bildeten eine Einheit, und immer wurde, nach einem Wort von Katharina Kippenberg, der Frau und Helferin Kippenbergs, „eine Schöpfung von der anderen gespeist“.

Die äußeren Umstände, die zu diesen Ereignissen führten, sind freilich tragisch genug. Der 1928 erschienene, zweibändige Katalog der Sammlung – er trug als Motto die Goethe-Zeile „Einen Einzigen verehren“ – nennt über 8000 Nummern. Das schöne Haus in der Richterstraße in Leipzig-Grohlis, in dessen Turmzimmer Rilke monatelang gewohnt hat, konnte die Schätze längst nicht mehr fassen. Ein großzügiger, allein für die Sammlung bestimmter Anbau wurde 1938 festlich eingeweiht. Der Krieg setzte allem ein Ende. Kippenberg hatte zwar die Sammlung rechtzeitig geborgen, doch das Haus in der Richterstraße ging, ebenso wie das Verlagsgebäude, in den Bombennächten zugrunde. Der Weg der Heimatlosen führte über Weimar nach Marburg a. d. L., wo Kippenberg 1950 starb, seine Frau war ihm 1947 im Tode vorausgegangen.

Der 100. Geburtstag Anton Kippenbergs führte die Düsseldorfer Goethe-Freunde zu einer Feierstunde zusammen. Angehörige der Familie und Kippenbergs alter Freund und Mitarbeiter Dr. Friedrich Michael waren dazu hergekommen. Der Direktor des Goethe-Museums, Dr. Jörn Göres, würdigte den Gründer der Sammlung und den Namenspatron des Hauses. Er beließ es jedoch nicht bei den Erinnerungen an Gewesenes, sondern richtete den Blick auf Heute und Morgen. Welche Verpflichtungen sind dem Hause mit der Sammlung auferlegt?

Noch immer steht der Erwerb von Handschriften an erster Stelle. Spürsinn und Wachheit, wie sie Kippenberg in hohem Maße besaß, sind dazu notwendig. Es muß „gezielt“ gesammelt werden. Lücken müssen geschlossen, bisherige Schwerpunkte (Faust, Werther) beibehalten werden. Das „abstrakte“ Schriftstück muß durch möglichst viele bildliche Darstellungen lebendig gemacht werden. Jedes Stück muß sich dem Ganzen sinnvoll einfügen, aber es muß auch Ansatzpunkt sein für neue Ausblicke. Es ist oft schmerzlich für den Museumsleiter, nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen zu können. Oft fehlen die finanziellen Mittel, die Zahl der Mitarbeiter ist zu klein, der Raum reicht nicht aus.

Wichtig ist es, das vorhandene Material publikumswirksam „aufzubereiten“. Der Privatsammler, wie Kippenberg einer war, braucht seine Stücke nicht zu kommentieren, er kennt sie. Das öffentliche Museum muß die Stücke erklären, muß in vorsichtiger Form, jedoch ohne ideologischen Zwang, belehren. In ständig neuer Form muß das Publikum angelockt werden, wobei die Erfahrung zeigt, daß Wechselausstellungen stärker anziehen als ständig Sammlung.

Die Pflege der Dokumente stellt eine besonders schwierige Aufgabe dar. Darf man die unersetzlichen Originale für längere Zeit dem Licht und den schwankenden Temperaturen aussetzen? Legt man nicht besser Faksimile in die Vitrinen? Aber das Publikum hat auch wieder ein Recht auf das Eigenhändige! Als Lösung bietet sich an: Bei Wechselausstellungen Originale, in der Dauerausstellung Faksimilie.

Viele der angeschnittenen Fragen führten über den Sonderfall „Goethe-Museum“ hinaus und zu allgemeinen museologischen Problemen hin. Museumsarbeit, so meint Görres, sei „ein hartes Geschäft“, aber der mühsame Einsatz bringe auch wieder reichen Lohn. – Der anregende Vortrag fand bei den zahlreichen Besuchern lebhaften Anklang.

K-k
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 27. März 1974