Anna Klapheck Textforum

Neuer „Dada“ im Galeriechen bei Schmela

Aus den Anfängen des Künstlers Yves Klein in der Altstadt / Ein abendlicher Bericht aus dem Jahr 1957

Als Kunst in Düsseldorf noch Geschichte machte, hatte hier auch Yves Klein seinen Auftritt. Heute wird er in der Kunstsammlung NRW, in Köln und in Krefeld posthum mit musealem Lorbeer bekränzt; damals stellte er an weniger ehrwürdiger, aber lebendigerer Stelle aus: in der Galerie Schmela, gleich um die Ecke. Anna Klapheck, Professorin an der Düsseldorfer Kunstakademie und zugleich journalistische Beobachterin des künstlerischen Aufbruchs, hielt am 4. Juni 1957 in der „Rheinischen Post“ fest, was sie an einem Abend mit und um Yves Klein empfunden hatte.

In dem Straßenstückchen zwischen Andreaskirche und Bolkerstraße herrschen die Diminutive, hochdeutsche und niederrheinische Kom(m)ödchen, Raritätchen, Höhnerknöcks’ke... Das „Raritätchen“ freilich packte jüngst seine netten Sächelchen zusammen und siedelte über in die Wibbelgasse. Die Städtische Liegenschaftsverwaltung, der das Haus gehört, zeigte sich gnädig und überließ das Räumchen dem Architekten, Maler und Kunsthändler Schmela, der die Wände sachlich grau umhüllte und daselbst eine Galerie eröffnete, besser gesagt, ein Galeriechen, ein Kunstsalönchen. In- und ausländische Kunst wird man dort zu sehen bekommen. Modern, versteht sich.

In Paris, in den engen Gäßchen um St. Germain-des-Prés, gibt es ein paar Dutzend solcher winziger Galerien der Avantgarde. So etwas imponiert den Deutschen, und im Galeriechen von Herrn Schmela begann man auf gut Französisch. Ins Haus flatterte ein Prospekt mit einem längeren französischen Text, dem zu entnehmen war, daß man die „Propositions Monochromes“ des Malers Yves zeigen werde, sie, die die „Stunde der Wahrheit“ und die reine „Kontemplation“ bedeuteten. Herr Yves war selbst zur Stelle, ein sympathischer, bescheidener Mann von etwa 30 Jahren, mit schönen, schwermütigen Augen. Auch Iris Clert hatte ihre Kunsthandlung in der Rue des Beaux-Arts für zwei Tage im Stich gelassen, um im himbeerfarbenen Mantel dem Ereignis in der Hunsrückenstraße beizuwohnen. Iris Clert und Schmela arbeiten nämlich Hand in Hand. Ein dicker Band mit Fotos und Zeitungsausschnitten belehrt darüber, daß Herr Yves mit seinen „Monochromes“ bereits in aller Welt zu sehen war.

Was sind nun die „Propositions Monochromes“ des liebenswürdigen Herrn Yves? Yves nagelt auf einen Keilrahmen Hartfaserplatten auf, mal größere, mal kleinere, mal als Querformat, mal als Hochformat. Er bezieht seine Platten mit Leinen, greift zur Farbe und überstreicht seine Flächen mittels einer kleinen Walze ostereierbunt und streng einfarbig, grün, rot, gelb. Fertig aus. Die Walze werkelt bei dem einen Bild von oben nach unten, beim nächsten vielleicht von links nach rechts, das sind schwerwiegende Unterschiede, auch die Struktur des unterklebten Leinens macht sich ein bißchen bemerkbar. Verteilt man die Bilder geschickt an der Wand, wie Herr Schmela dies tat, so ergibt sich ein lustiges Flächenspiel, fast ein Mondrian, aber dazu gehört schon ein halbes Dutzend echter Yves. Wenn man nur einen davon hat, was tut man dann damit? Vielleicht davor meditieren – über das Unendliche. Herr Yves lebte einige Jahre im Fernen Osten und mag wissen, wie man meditiert.

Er weiß am Ende noch einiges mehr; daß Kunst immer und immer eine schwere Sache ist und man gut tut, von Zeit zu Zeit wieder bei Punkt Null anzufangen und auch anderen Malern dies anzuraten. Aber was tut man sonst noch mit einem Bild von Yves? Etwa gar sich darüber ärgern und sagen, es sei eine Frechheit, eine Albernheit, uns das zu bieten? Nicht einer ärgerte sich an dem heiteren Abend. Man nahm das Ganze als Spaß, als Ausdruck guter Laune, als eine Art neues „Dada“, und Herr Schmela sonnte sich in seinem Erfolg.

Das Räumchen erwies sich freilich als beträchtlich zu klein, die Menge der Geladenen zu fassen. Doch die Nacht war milde, und so machte das ganze Sträßchen mit im fröhlichen Spiel, sogar die Tauben von St. Andreas gurrten hinein. Ratsherr Schracke entbot oberbürgermeisterliche Grüße, Hannelore Schubert sprach Einführungsworte. Man wechselte auch mal hinüber zu Fatty, und als man zurückkam, entsandten die Neonröhren des Galeriechens noch immer ihr weißes Licht. Zwei Altstädterinnen drückten in vorgerückter Stunde ihre Nasen am Schaufenster platt: „Kiek ens, Billa, nu sin se auch noch am Drinke!“

Anna Klapheck
In: Rheinische Post, 10. November 1994