Anna Klapheck Textforum

Bilder im Gold-Rahmen

Vor-Wort zur Schau „Düsseldorfer Malerschule“

„Die Geschichte hat also . . . den Propheten unrecht gegeben, die den Düsseldorfern als den Bringern des Vollendeten huldigten. Denn kein Hahn kräht mehr nach ihren Werken“. Dies schrieb der bedeutende Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt in seiner 1899 erschienenen, mehrmals neu aufgelegten Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Lange Zeit schien es, als solle Gurlitt recht behalten. Die einst so bewunderten Geschichtsbilder, nun zu historischen „Schinken“ degradiert, die gemütvollen biblischen Szenen und das hochgerühmte „Genre“ verschwanden aus der Öffentlichkeit, die Preise sanken, und in den Museen wanderte das meiste in die Depots. Einzig die Porträts und die Landschaften behielten eine gewisse Gültigkeit, doch ist in ihnen das „Düsseldorfische“ nicht so rein ausgeprägt.

Nur „zeittümlich“?

Gurlitt hatte dem Akademiedirektor Wilhelm Schadow, dem Haupt und Gründer der Schule, dem Nachfolger von Peter Cornelius, immerhin noch eingeräumt, er sei eine „zeittümliche“ Erscheinung und bleibe als solcher „bemerkenswert“. In den späteren Darstellungen des 19. Jahrhunderts (Hildebrandt, Hamann, Beenken, Hofmann) ist das Kapitel „Düsseldorfer Schule“ nahezu gestrichen. Die lokale Forschung befaßte sich wohl mit einzelnen Künstlern, doch seit Schaarschmidts Werk „Zur Geschichte der Düsseldorfer Kunst“ von 1902 hat man 60 Jahre lang nichts Zusammenfassendes über das Thema geschrieben. Zu erwähnen ist einzig der kluge Walter Cohen (er fiel dem Hitlerregime zum Opfer), der in seinem schmalen Bändchen „Hundert Jahre rheinischer Malerei“ (1924) die in ihrer Einseitigkeit ungerechte Verurteilung der Düsseldorfer Malerschule nachdrücklich mißbilligt.

So war von dem ganzen Glanz der Schule, die ein halbes Jahrhundert lang kosmopolitische Ausweitung hatte, eigentlich nur eines übrig geblieben: die bis heute dem Stadtnamen so gern angeheftete Bezeichnung „Kunststadt“. Was ist eigentlich eine Kunststadt? Niemand hat je von einer Kunststadt Rom oder Paris gesprochen. Der Begriff „Kunststadt“ ist erwachsen aus dem bürgerlichen Bildungsbewußtsein des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, als Kunst nahezu gleichbedeutend war mit Tafelmalerei, Kunstschule und Bilderausstellungen. Gewiß hätte es ohne Jan Wellem und seine Galerie keine Kunstakademie gegeben. Aber das mit Kunstwerken vollgestopfte alte Herzogschloß am Rhein öffnete erst 50 Jahre nach Jan Wellems Tod seine Pforten für den allgemeinen Besuch. Künstler, Gelehrte fanden sich ein. Zur „Kunststadt“ wurde Düsseldorf erst durch seine Malerakademie des 19. Jahrhunderts, deren Werke nun auch das Bürgertum erreichten.

Den Beteiligten an dieser Entwicklung mag freilich kein Zweifel am historischen Rang ihrer Epoche gekommen sein. Schadow verkündete, daß seit Raffael und Michelangelo nichts Besseres gemacht worden sei als der „Jeremias“ seines jungen Freundes Bendemann. Und lief denn nicht alles aufs beste? Aus allen Ländern strömten die Kunsteleven nach Düsseldorf. Die Kunstgeschichte hat uns zwar gelehrt, daß das Publikum im Vergleich zum Künstler „eine Uhr ist, die nachgeht“ – in Düsseldorf trat der seltene Fall ein, daß sich Publikum und Künstlerschaft in voller Übereinstimmung miteinander fanden. In der unter Schadows mächtigem Regime herausgebildeten Kunst fand der Bürger die eigene Auffassung von „Schönheit“ und die eignen Moralbegriffe bestätigt.

Kleinere Meister

Bald war es der Ehrgeiz eines jeden Bürgers, die Wände seines Hauses mit den vaterstädtischen Bildern in den breiten Goldrahmen zu schmücken. Und wenn es zu den Werken der Berühmten nicht reichte, so gab es genug kleinere Meister, deren Gemälde auch bei schmalerem Geldbeutel erschwinglich waren. Zufrieden waren auch die Rahmenmacher, (1854 Gründung Conzen), die in der Kunst des Vergoldens Meisterschaft erreichten. Zufrieden war der mit Macht einsetzende Kunsthandel (ab 1850 die „Permanente Kunstausstellung“ bei Schulte, 1867 Gründung Paffrath). Der 1829 gegründete „Kunstverein“ wurde zum Zentrum aller an Kunst interessierter Kreise. Zufrieden waren die Besitzer der Altstadtkneipen, in denen sich das international zusammengesetzte „Künstlervölkchen“ tummelte.

Die riesige Nachfrage ließ schließlich auch die Künstler zum Wohlstand kommen. Rund um den Hofgarten entstanden ganze Straßenzüge von Malerhäusern, kenntlich an den großen Atelierfenstern nach Norden, in denen von der Kunst des Hausherrn relativ sorglos gelebt werden konnte. Ich habe die letzten dieser Häuser noch gekannt: die mit Bildern übersäten Wände der hohen Zimmer, die angegrauten Stuckdecken, die mit Teppichen belegten Ateliers mit ihrem Geruch nach Terpentin und nach Mottenpulver, das in die schweren Kostümkisten gestreut war. Der Hausherr in der Samtjacke, liebenswürdig, gebildet, oftmals Sammler alter Möbel und alten Geräts, mit zunehmenden Jahren immer verwunderter über die Wandlung der Zeit. Der Zweite Weltkrieg hat nichts davon übrig gelassen.

Nicht aus dem Publikum, sondern von den Künstlern selbst kam die erste Kritik. Ihnen blieb das Mißverhältnis zwischen Ruhm und Leistung auf die Dauer nicht verborgen. Rethel schied aus der Akademie aus, weil er mit Schadows starrer Lehre nicht übereinstimmte. Skeptisch beurteilte der Dichter Immermann die Allmacht Schadows und schrieb in seinem Buch „Düsseldorfer Anfänge“ (1840), daß man sich krümmen und wenden müsse, „um das öffentliche Geheimnis nicht laut werden zu lassen: daß Schadow kein Genie sei“. Angesichts der Fresken der Apollinariskirche in Remagen bemerkt er respektlos: „Tragen denn diese zärtelnden Engel . . . die Bürgschaft langen Lebens in sich?“

Auch die politischen Ereignisse brachten vorübergehend Unruhe in das friedliche Eiland. Daß der „Malkasten“ ein echtes 48er-Kind ist, hervorgegangen aus dem Hochgefühl des „tollen“ Jahres, wird oft vergessen. Die freie Künstlerschaft, die sich hier zusammengefunden hatte, stand anfangs in offener Opposition zu Schadow und seiner Akademie. Später ließ sich Schadow dann doch als Mitglied aufnehmen, und der Freundschaftsbund zwischen Akademie und freier Künstlerschaft war besiegelt.

Dennoch mußte eines Tages der Abstieg kommen. Die Übergabe der Akademieleitung von Schadow an Bendemann (1859) änderte zunächst freilich wenig. Nur erhielt die Landschaftsmalerei, die unter Schadow noch zu den „minderen“ Künsten zählte, unter Schirmer und seinen Schülern erhöhte Bedeutung. Das Vordringen des Naturalismus und in der Folge auch des Impressionismus war unaufhaltsam. Man war müde geworden einer Kunst, die nur auf „Inhalt“ und den hohen „Gedanken“ zielte, die der historischen und literarischen Bildung bedurfte, um ein Bild verstehen zu können, (etwa Sohns „Tasso und die beiden Leonoren“, Hildebrandts „Ermordung der Söhne Eduards IV.“). „Die Kunst flieht, wenn ihr eure Taten mit dem historischen Zeltdach überspannt“, schrieb Nietzsche in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ (1873). Das Auge verlangte endlich sein Recht.

Es hat merkwürdig lange gedauert, bis man sich in Düsseldorf von den überkommenen Vorstellungen löste. Sittenbild, Historienmalerei, und die nazarenische Richtung behaupteten sich bis ins neue Jahrhundert. Erst in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg fand Düsseldorf Anschluß an die europäischen Kunstströmungen.

Düsseldorf war mit die erste Stadt, die nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges in leidlich verschonter Umgebung sein Museum wieder eröffnen konnte. Bereits 1948 zeigte der damalige Museumsdirektor Dr. Doede eine Ausstellung „Hundert Jahre Düsseldorfer Malerei“, bei der die aus ihren Bergungsorten zurückgeholten, um Leihgaben vermehrten Werke der eigentlichen „Düsseldorfer Schule“ dominierten. Doch damals lagen uns ganz andere Dinge am Herzen. Mit Pathos und „Inhalt“ waren wir zwölf Jahre lang abgespeist worden, nun wollten wir endlich wissen, was sich in der Welt draußen inzwischen ereignet hatte. Die Bilder in den breiten Goldrahmen erschienen uns wie eine liebenswerte, letztlich jedoch belanglose Erinnerung.

Doch die Geschichte korrigiert sich immer aufs neue. Das 19. Jahrhundert wurde „aufgewertet“, der historische Abstand führte zu neuen Maßstäben. Künstler, die jahrelang ein herabsetzendes, bis ans Lächerliche reichendes Etikett mit sich herumzutragen hatten, zeigten sich in Ausstellungen plötzlich in verändertem Licht: Böcklin, Makart, die Nazarener. So gewann auch die „Düsseldorfer Malerschule“ unerwartete Aktualität, und die Preise stiegen sprunghaft.

DDR-Darstellung

Das Düsseldorfer Museum legte 1969 die von Irene Markowitz sorgfältig bearbeitete Bestandsaufnahme des eigenen Bilderbesitzes vor. Eine erste zusammenfassende Darstellung des lange beiseite geschobenen Themas kam merkwürdigerweise – aber so merkwürdig ist es auch wieder nicht – aus dem anderen Teil Deutschlands: Wolfgang Hütts „Die Düsseldorfer Malerschule“ (Leipzig 1964). Der Zusammenhang zwischen der Düsseldorfer Malerei und der „Gesellschaft“, von der sie getragen war, ist sicher eng, und der Verfasser versäumt es denn auch nicht, „den geschichtlichen Prozeß von der Warte des historischen Materialismus aus“ darzustellen und den „gesellschaftskritischen Tendenzen“ der Düsseldorfer Kunst, die zeitweilig zweifellos auch vorhanden waren, nachzuspüren. Trotz mancher Einseitigkeit ist das Buch nicht ohne Interesse.

Und nun erwartet uns die große Inszenierung der „Düsseldorfer Malerschule“ im Düsseldorfer Kunstmuseum. Sie ist die Abschiedsgabe des scheidenden Museumsdirektors Wend von Kalnein, der sich seit Jahren mit dem Thema befaßt hat und besonders den internationalen Verknüpfungen der Schule nachgegangen ist. Wir schulden ihm aufrichtig Dank für die geleistete Arbeit.

Diese Zeilen wurden geschrieben, ehe die Ausstellung zu besichtigen war und auch ohne Kenntnis des angekündigten Katalogs, der sicher für lange Zeit ein gültiges Kompendium der Düsseldorfer Malerei sein wird. Was uns diese Kunst heute noch zu sagen hat, darüber müssen nun die Bilder selbst Auskunft geben.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post.12. Mai 1979