Anna Klapheck Textforum

Von der Tänzerin zur Galeristin

Zum Tode der Kunsthändlerin Hella Nebelung

Sie liebte das Leben, die Menschen, die Freundschaft, das Gespräch, die frohe Runde beim Wein. Gastlichkeit war ihr selbstverständlich. Sie schien leichten Fußes die Hürden des Lebens zu nehmen, sie, die ehemalige Tänzerin, die am 22. Dezember 1945, als alle Welt von Kohlennot und Lebensmittelkarten sprach, in einem Trümmerhaus am Hofgarten ihre Galerie eröffnete und mit den Bildern, die sie zeigte, eine glücklichere Welt beschwor: Hella Nebelung, deren 73. Geburtstag wir vor wenigen Tagen, am 11. Juni, in gewohnter Heiterkeit feierten. Nun kam die unfaßliche Nachricht, daß sie zwischen zwei Festlichkeiten, denen sie erwartungsfroh entgegengesehen hatte, durch ein Herzversagen jäh von uns genommen wurde.

Ging ihr leichter Fuß in den letzten Jahren doch vielleicht einen schwereren Gang, als sie nach außen erkennen ließ? Manchmal klagte sie über Müdigkeit, die immer schwerer werdende Situation des Kunsthandels nahm ihre Kräfte im Übermaß in Anspruch, letztlich war sie keine „Geschäftsfrau“, sie nannte sich selbst ein „Naturkind“, das den Sommer tief einatmen konnte und selbst bei Schnee und Eis mit festem, federnden Schritt seine geliebten Spazierwege machte.

Dennoch hatte sie sich zäh, tapfer und fleißig in die mühsame kunsthändlerische Praxis eingearbeitet, kannte die Künstlernamen, beobachtete das Auf und Ab der Richtungen und Preise. Als ich sie kürzlich einmal fragte, ob sie nicht doch daran denke, sich eine jüngere Partnerin heranzuziehen, wehrte sie entschieden ab: „Die Galerie Nebelung steht und fällt mit Hella Nebelung und geht auch mit ihr zu Ende.“ Nun hat das Schicksal ihr alle Entscheidungen abgenommen.

Hella Nebelung wurde 1912 im oberschlesischen Beuthen geboren, ihr Vater war Jurist, ein bürgerliches Leben war ihr vorgezeichnet. Doch früh brach sie aus. Die Eltern, nach Breslau verzogen, beharrten auf einer Ausbildung als Gymnastiklehrerin, sie tat ihnen den Willen, machte ihr Examen, aber das Tanzen wurde immer mehr zum Lebensinhalt. Sie geriet in den Bannkreis des großen Ballettmeisters Aurel von Milloss, dem sie nach Augsburg und später nach Düsseldorf folgte. Sieben Jahre tanzte sie am Düsseldorfer Opernhaus. Manchmal sah sie von ihrem späteren Domizil, dem Ratinger Tor, gedankenvoll durch die Bäume des Hofgartens hinüber zum festlich erleuchteten Haus. „Es ist noch Licht, sie spielen noch.“

In ihrer ersten Düsseldorfer Wohnung Prinz-Georg-Straße hatte sie ein kleines Tanzstudio eingerichtet, wo auch die Maler gern einkehrten und die anmutigen Gestalten als Modelle benutzten. Bald bemerkten sie das feine Gespür Hella Nebelungs für künstlerische Dinge, und Peter Janssen war es, der gleich nach Kriegsende zu ihr sagte: „Hella, du mußt eine Galerie aufmachen.“ Er blieb ihr durch viele Jahre der treue Berater.

An jenem Wintermorgen 1945 strömten die Besucher in Scharen in die neue Galerie. Helmut Hentrich hatte das Trümmerhaus in der Logengasse einigermaßen bewohnbar gemacht, ein Kaminfeuer knisterte. An den frisch geweißten Wänden hingen die Bilder ihrer rheinischen Malerfreunde, von denen viele in den letzten Jahren nur im Verborgenen hatten arbeiten können: Peter Janssen, Oswald Petersen, Heinz May, J. B. Hundt, Pudlich, Weitz, Buschmann, Ari Kampf, Ehepaar Neyers. Werner Heuser, der wenige Tage später zum Akademiedirektor gewählt wurde, sprach ein Grußwort. Wohl keiner der vielen Gäste war es, der sich dem Zauber der Stunde entziehen konnte.

Vierzig Jahre sind seitdem vergangen, vierzig Jahre lang hat „Hella“, wie sie allgemein hieß, ihre Galerie durch alle Fährnisse, vor allem über die schwere Klippe der Währungsreform, hindurchgesteuert, 1955 bezog sie den von Säulen getragenen kleinen Tempelbau an der Weyhe-Allee, das ehemalige Wachhaus des Ratinger Tores. In wachsenden Ringen hat sich ihr Ausstellungsprogramm erweitert. Der unvergessene Albert Schulze Vellinghausen führte sie ein in die Bereiche der ungegenständlichen Kunst, die sie 1947 in einer Ausstellung „Progressive Malerei“ dem solcher Dinge noch ungewohnten rheinischen Publikum vorführte.

Bald griff sie über die damals noch geltenden Zonengrenzen hinüber nach Süddeutschland und Berlin, Künstler von internationalem Rang wie Hoelzel, Baumeister, Jawlensky, Schlemmer, Kirchner kehrten bei ihr ein. Als sich die Grenzen öffneten, nahm sie rasch Fühlung auf mit dem Ausland: 1953 zeigte sie eine Calder-Ausstellung, 1954 „Grafik von Renoir bis Picasso“. Berühmte Bilder wie Chagalls „Huldigung an Apollinaire“ (1912, heute Eindhoven) sind durch ihre Hände gegangen. Der Kölner Sammler Haubrich, der Leiter des Stedelijk Museums Amsterdam, Sandberg, gehörten zu ihren Kunden. Einmal war Cocteau in der Galerie zu Gast.

Die Stadt wollte Hella Nebelung zum 40jährigen Bestehen ihrer Galerie im Dezember ehren, darüber freute sie sich. Nun ist das kleine Torhaus am Wasserspiegel des Hofgartens verwaist. Ein Stückchen Düsseldorfer Stadtgeschichte, dort wo sie rheinisch und weltweit zugleich ist, ging mit ihr zu Ende.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post, 20. Juni 1985